Nadel, Faden, Hackebeil
Haarspray und zwei Gummibändern zu großen Mäuseohren frisierte. Das Endprodukt ähnelte nichts, was seine Eltern oder die Stilpolizei von
Vogue Bambini
schön gefunden hätten, war aber definitiv ein Hingucker.
Karina selbst schlüpfte in einen enganliegenden, leuchtend blauen Ganzkörperoverall und blaue Overknees. Zudem hatte sie sich die Haare an diesem Tag blau gefärbt. Sie sah aus wie ein Schlumpf.
Dann zogen Giganto-Schlumpf und Mini-Micky-Maus in die Welt hinaus.
Zuerst gingen sie Enten füttern auf dem Unterwöhrd, einer Insel im Kocher. Dann spendierte Karina Mozes eine heiße Schokolade im Café Ableitner. Und anschließend zogen sie die Mauerstraße entlang zur Johanniterhalle. Die ehemalige Johanniterkirche, die schon lange säkularisiert und zeitweise als Turnhalle genutzt worden war, hatte Mäzen Reinhold Würth zu einem Museum für Alte Meister umgewandelt, in dem unter anderem Werke von Lukas Cranach und Tilman Riemenschneider ausgestellt wurden. Die Kinderführung hatten sie zeitlich knapp verpasst, aber Karina fand ohnehin, dass Mozes nur die Farben und Formen und Figuren auf sich wirken lassen sollte. Er konnte Kunst auch zu schätzen lernen, ohne intellektuell dafür aufgerüstet werden zu müssen.
Mozes war begeistert von den Heiligen. Es gab so viel zu sehen. Besonders der rote Teufel hatte es ihm angetan. Im Museumsshop besorgte ihm Karina Papier und Stifte und ließ ihn dann den Teufel abmalen.
»Das ist ja nett, meine verwarnte Gefahrhundausführerin.« Polizeiobermeister Karsten Viehoff stand plötzlich neben ihr und lächelte. »Und wie ich sehe, total blau. Muss ich Sie pusten lassen?«
Ohne seine Uniform sah Viehoff richtig menschlich aus. Männlich. Mehr als nur männlich. Wie einer, der mal eben lässig nebenher den Mr.-Germany-Contest gewinnen konnte. Kurz tauchte vor Karinas innerem Auge das Bild von ihm in Badehose auf.
»Momentan habe ich nur heiße Schokolade im Blut«, sagte sie.
»Aha, eine Süße. Wusste ich es doch gleich.« Er zwinkerte.
Karina musste sich räuspern. »Und? Heute nicht im Dienst?«
»Ein Mann des Gesetzes ist immer im Dienst. Nur läuft er manchmal im Undercoverlook herum.«
Karina lächelte, wollte ihm vorschlagen, sich draußen auf eine der Bänke der Weinstube zu setzen und zu plaudern, sah sich vorher noch mal nach Mozes um und …
… konnte ihren Schützling nirgends entdecken.
»Mozes?«, rief sie.
Stille.
Karina war nicht wirklich besorgt. Die Johanniterhalle war wegen der Stellwände etwas unübersichtlich, aber nicht sehr groß. Und wenn er das Gebäude verlassen hätte, wäre er definitiv an ihr vorbeigekommen. Schließlich stand sie vor dem einzigen Ausgang.
So trat sie ein paar Schritte vor und rief erneut: »Mozes?«
Immer noch Stille.
Ganz so still war es in diesem Moment auf dem nächstgelegenen Polizeirevier nicht.
Stiller Alarm ist immer nur einseitig still.
Nachdem Mozes nämlich den roten Teufel abgemalt hatte, war er in den kleinen Nebenraum geschlendert und hatte sich verliebt. In das Lüsterweiblein aus Holz. Sie war so zart und glänzte und legte den Kopf auf so entzückende Weise schräg. Ein Blick, und er wusste: Sie ist das Schönste, was ich je gesehen habe. Natürlich wollte er daraufhin ihre zarte Wange küssen. Mit seinen kurzen Ärmchen reichte er gerade so auf das Podest hinauf.
Und löste auf diese Weise den stillen Alarm aus.
Aufgrund seines Verhaltens sollte das Lüsterweibchen unter Plexiglas gestellt werden und fürderhin für Küsse unerreichbar sein.
Aber das wusste die Mini-Micky-Maus alias Mozes Nneka in diesem Augenblick noch nicht.
Und das war in diesem Moment auch das kleinste Problem in seinem noch jungen Leben.
18 : 21 Uhr
Ick liebe dir, ick liebe dich,
wie’s richtig heest, det wees ich nich,
und is mir ooch Pomade.
Irmi verstaute ihre Großeinkäufe in einem Schließfach im Hauptbahnhof Stuttgart. Sie hatte die Gelegenheit genutzt, um in diversen Läden – Breuninger, Böhm sowie Merz & Benzing – die Bestände leer zu kaufen. Ein Schließfach reichte folglich auch nicht aus, sie musste gleich zwei belegen. Dann strich sie ihren grauen Popelinemantel glatt, holte tief Luft und marschierte los. Zum Aufzug, der sie in das Turmcafé brachte.
In der Glasscheibe des Aufzugs musterte sie ihr Spiegelbild. Der Aufzug fuhr langsam, und das Café lag im siebten Stock, da hatte sie reichlich Gelegenheit, sich zu betrachten. Es musste ja einen Grund geben, warum sie mit über
Weitere Kostenlose Bücher