Nadelstiche
irgendwas gesucht.« Seine Stimme wurde dumpf, als er tiefer in den Schrank hineinkroch.
»Igitt!« Kenneth kam rückwärts gekrabbelt, die rechte Hand weit vor sich gestreckt. »Da drin ist irgendwas Nasses und Widerliches auf dem Boden.«
Jake packte Kenneths Handgelenk, starrte auf den grünlichen Schleim unter manikürten Fingernägeln und hob die Hand dann an die Nase, um daran zu schnuppern. »Hundekotze«, erklärte er. »Mycroft muss letzte Nacht krank geworden sein. Manny ist überstürzt los, um ihn zum Tierarzt zu bringen.«
Kenneths Augen leuchteten auf und wurden sogleich wieder trübe. »Aber dort ist sie offenbar nicht angekommen. Genauso wenig wie Mycroft.«
»Wir rufen den Tierarzt an.« Jake schnippte mit den Fingern. »Wie heißt der noch mal?«
Kenneth wusch sich schnell die Hände. »Ich hab die Nummer im Handy.« Er drückte ein paar Tasten und begann zu reden. Jake hätte ihm am liebsten das Telefon entrissen, aber Kenneth schien genau die richtigen Fragen zu stellen.
»Der Tierarzt sagt, sie hat heute Morgen um Viertel nach fünf seine Pager-Nummer angerufen und gesagt, dass Mycroft sich erbrochen hat«, berichtete Kenneth. »Er hat ihr erklärt, das höre sich an, als hätte er irgendwas gefressen, das für Hunde giftig ist, und ihr geraten, ihn in die Tierklinik auf der 68., Ecke York, zu bringen. Die sind da auf Vergiftungen spezialisiert und haben die ganze Woche rund um die Uhr auf.«
»Ruf diese Tierklinik an und frag nach, ob Manny da war«, befahl Jake ihm. »Vito und ich gehen schon mal runter und sprechen mit dem Portier.«
Um zehn Uhr war die morgendliche Hektik bereits abgeklungen, und der Portier in Mannys Lobby hatte nicht mehr viel zu tun, außer ab und an eine Lieferung entgegenzunehmen und einigen älteren Mietern oder nicht berufstätigen Müttern zur Hand zu gehen.
»Wer hatte heute Morgen um fünf Dienst?«, fragte Jake.
»Ich.« Der Portier gähnte. »Wir machen alle Überstunden, weil einer von uns im Urlaub ist. Ich bin seit Mitternacht hier.«
»Haben Sie Ms Manfreda mit ihrem Hund aus dem Haus gehen sehen?«
»Manny? Nein, hab sie den ganzen Tag nicht gesehen.«
Jake trat näher. Der Portier, ein gut aussehender Mann von ungefähr dreißig Jahren, machte einen aufgeweckten Eindruck, aber vielleicht war er ja beschäftigt oder abgelenkt gewesen, als Manny durch die Lobby kam. »Das ist sehr wichtig«, sagte Jake. »Sie war höchstwahrscheinlich in Eile. Vielleicht haben Sie nicht mitbekommen, wie sie ging.«
Der Portier schüttelte nachdrücklich den Kopf. »Miss Manny? Ausgeschlossen. Sie sagt immer Hallo, ganz egal, wie eilig sie’s hat. Nicht wie manche andere hier im Haus.«
Vito schaltete sich ein. »Hören Sie, wir wissen, dass sie gestern Abend spät nach Hause gekommen ist, und jetzt ist sie nicht in ihrer Wohnung, also muss sie irgendwann wieder gegangen sein. Wir wollen nur nachvollziehen, wie sie das Haus verlassen hat.«
»Ich hab nicht behauptet, dass sie nicht weggegangen sein kann. Ich hab bloß gesagt, dass sie nicht an mir vorbeigekommen ist. Zwischen fünf und sechs ist außer Legerer aus 12b keiner gegangen – der schwimmt jeden Morgen vor der Arbeit ein paar Bahnen.« Der Portier schüttelte den Kopf ob dieser Tollheit. »Aber morgens nehmen viele die Hintertür im Untergeschoss. Ist der kürzere Weg zur U-Bahn.«
Jake schüttelte den Kopf. »Manny fährt nie mit der U-Bahn. Und mit einem kranken Hund erst recht nicht. Außerdem kommt man mit der U-Bahn von hier aus nicht zur 68., Ecke York. Das ergibt keinen Sinn.«
»Vielleicht ist sie hinten raus und wollte zu ihrer Parkgarage«, spekulierte Vito.
»Ihre Parkgarage liegt in der anderen Richtung«, widersprach der Portier, wodurch er bewies, dass er sich mit Mannys Gepflogenheiten auskannte. »Und wenn sie ein Taxi braucht, lässt sie immer mich eins ranholen.« Er ließ die silberne Trillerpfeife baumeln, die er um den Hals hängen hatte. »Sie kann ziemlich laut pfeifen, aber die hier ist noch lauter.«
Jake blickte zu Boden und dachte nach. Manny war mitunter impulsiv, aber niemals unvernünftig. Es musste einen guten Grund geben, warum sie den Hinterausgang genommen hatte. Aber welchen?
Kenneth trat aus dem Fahrstuhl und kam zu ihnen herübergeeilt. »In der Tierklinik weiß keiner was davon, dass Manny oder Mycroft heute Morgen da waren. Auf dem Weg dorthin muss irgendwas passiert sein.«
Jake starrte weiter auf das geschmackvolle Muster des Teppichbodens in der Lobby.
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