Nächte am Nil
Feuerkreis. Aus dem Zelt Boran-Beis klang Gesang. Die schöne Sklavin aus dem Tschad sang und tanzte vor ihrem Gebieter. Dumba tappte zu einem der Feuer, hinter dem die weiße Wolldschellaba eines der Wächter leuchtete. Es war kurz nach Mitternacht. Die Sklaven schliefen, zu schwarzen Knäuel zusammengeballt.
»Freund!« sagte Dumba auf arabisch und trat aus dem Feuerkreis. »Ich glaube, die weiße Frau hat Durst. Kann ich Wasser holen?«
Der Araber nickte. Er war müde und schlief im Sitzen. Warum wachen, dachte er. Noch nie ist ein Sklave weggelaufen, nicht von uns. Wir haben dreimal einen Flüchtenden wieder eingefangen und ihm vor den Augen der anderen die Haut vom Leib geschlagen. Das spricht sich herum. Und gefesselt sind sie auch. Sie müßten also schon alle gleichzeitig flüchten, auf einem Bein hüpfend.
Er lächelte über dieses Bild und verfolgte den Weg Dumbas deshalb nicht mehr.
Der Neger aus dem Sudan lauschte erst am Zelt Boran-Beis. Dort war alles still. Der Bei lag in den Armen der schwarzen Sklavin und schlief. An einem Lagerfeuer, das genau dem gegenüberlag, an dem Dumba aus dem Kreis getreten war, sah er einen zweiten Wächter hocken. Die anderen schnarchten in ihren kleinen Zelten.
Leise, unhörbar kam Dumba zurück. Mit seiner bloßen Faust hieb er dem eingenickten Wächter auf den Schädel. Lautlos sank der Araber in den Sand.
Dumba zog ihn aus dem Feuerschein, entkleidete ihn und warf sich selbst die weiße Dschellaba um die Schultern. Er legte das Kopftuch an und ging dann aufrecht, als sei er von Boran-Bei geschickt, in den Feuerkreis und verschwand im Zelt Birgits.
Niemand kümmerte sich um sie, als sie das Zelt gemeinsam verließen. Der Wächter ihnen gegenüber glaubte, daß der Bei die weiße Frau zu sich holen ließ. Er rauchte weiter und starrte in das prasselnde Feuer vor sich.
»Schnell laufen, Frau!« sagte Dumba, als sie am Zelt Boran-Beis vorbeigegangen waren. Er selbst blieb zurück, um den betäubten Wächter mit einem Steinschlag noch tiefer in die Bewußtlosigkeit zu schicken. Dann holte er Birgit wieder ein und ergriff ihre Hand. »Keine Angst, Frau!« sagte er, als er das heftige Zittern spürte. »Keiner wird finden weiße Frau.«
Sie liefen, als würden sie gejagt. Als sich Birgit einmal umdrehte, sah sie noch schwach den Widerschein der Lagerfeuer gegen den dunklen Nachthimmel.
»Komm, Frau!« rief Dumba und riß sie mit sich. »Nicht bleiben stehen! Sonne kommt schnell …«
Wie lange sie durch das Geröll rannten, wußte Birgit nicht. Sie fühlte nur, wie ihre Beine immer schwerer wurden, wie sie schließlich nur noch schwankte und Dumba sie an seiner Hand mitriß wie einen müden, störrischen Esel.
»Ich kann nicht mehr«, keuchte Birgit und ließ sich einfach in das Geröll fallen. »Ich … ich bekomme keine Luft mehr …«
Dumba setzte sich neben sie und sah nach Osten. Der Horizont wurde bereits fahl und streifig.
»Geh jetzt geradeaus weiter, Frau«, sagte er. »Immer geradeaus. Ich laufe zurück und dann zur Seite. Leb wohl, Frau.«
Birgit hielt seine Hand fest. »Warum kommst du nicht mit, Dumba?«
»Sie würden uns schnell gefunden haben, Frau.« Das schwarze Gesicht Dumbas war ausdruckslos und von Schweißperlen überglitzert. »Du weiterlaufen … ich lenke Spur ab.«
»Und wenn sie dich finden? Sie werden dich töten.«
»Ja, Frau«, sagte Dumba gleichgültig.
»Du gehst mit mir!« rief Birgit.
»Nein. Was ist Dumba, Frau? Vater von Dumba ist erschlagen, Mutter von Dumba ist erschlagen. Frau von Dumba und Kinder von Dumba, alle erschlagen. Warum soll Dumba allein leben? Aber du sollst leben, Frau. Lauf – lauf – immer geradeaus –«
Er entriß seine Hand der Umklammerung Birgits und lief zurück. Wie einen Schatten sah sie ihn durch die Nacht rennen, bis er von der Dunkelheit aufgesogen wurde.
Dumba lief mit weit ausgreifenden Schritten zwei Kilometer zurück. Dann schlug er einen Haken und lief seitwärts in die Wüste hinein. Seine großen Füße hinterließen deutliche Spuren im Sand.
Beim Morgengrauen wurde die Flucht entdeckt. Boran-Bei war es selbst, der den niedergeschlagenen Wächter fand. Er stürmte sofort zum Sänftenzelt, riß den Eingang auf und fand es leer.
Der Alarm schreckte die Karawane auf. Alle Sklaven wurden zu einem dichten Knäuel zusammengebunden und mußten sich so in der Sonne niederhocken. Dann schwangen sich die Araber auf ihre Kamele und schwärmten aus, um die Spuren der Flüchtigen zu
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