Nächte am Nil
will das Knarren hören und das Zufallen des Schlosses. Mit ihm wird mein Schicksal zufallen. Warum gehst du nicht hinein? Es ist doch dein Mann …
Dein Mann! Du bist eine schöne, stolze, mutige Frau. Ich bin nur ein blinder Krüppel. Dir gehört seine Liebe, mir bleibt nur noch sein Mitleid.
Warum gehst du nicht hinein? Mach doch die Tür auf, du blonder Satan! Geh doch! Geh!
Lore Hollerau biß in die Faust, die sie vor den Mund gepreßt hatte. Ihr tränennasses Gesicht lag an der Tür. Sie hatte das Gefühl, in das Holz beißen zu müssen vor unendlicher, untragbarer Qual.
Da … ein leises Quietschen, ein Klicken, ein Scharren.
Sie ist hineingegangen.
Nun ist sie bei ihm.
Sie beugt sich über ihn.
Sie küßt ihn.
Sie … Sie …
Lore Hollerau schwankte von der Tür weg zurück zum Bett. Das letzte Bild ihrer Vorstellung zerriß sie völlig. Mit einem Schluchzen warf sie sich rücklings auf die Decke und stopfte einen Zipfel des Kissens zwischen die Zähne, um ihren Aufschrei zu ersticken.
Nun ist sie bei ihm. Nun sind sie glücklich. Nun sind sie wieder Mann und Frau. Und alles, was dazwischen liegt, ist nun vergessen.
Als Zuraida und Brahms eng umschlungen in ihr Schlafzimmer gingen und an Lores Tür vorbeikamen, hörten sie ein leises Stöhnen.
Sie fanden Lore Hollerau in einer großen Blutlache. Aus ihrem zerfetzten linken Handgelenk schoß das Blut in einem pulsenden Bogen. Es war eine fürchterliche Wunde. Mit der Scherbe eines zerbrochenen Taschenspiegels hatte sich Lore Hollerau die Ader aufgerissen.
*
Das italienische Vergnügungsschiff ›Leonardo‹ legte auf seiner Reise rund um das Mittelmeer auch in Tel Aviv, in Israel, an.
Hier ging Aisha von Bord, wie alle anderen Passagiere, um die Stadt zu besichtigen. Für Aisha aber war es ein Weggehen für immer. Als sie die Kaianlagen betrat, wartete bereits ein unauffälliger, in einen weißen Anzug gekleideter Herr auf sie. Ein moderner Strohhut bedeckte seinen Kopf, hinter der dunklen Sonnenbrille sahen harte Augen auf das Mädchen.
»Willkommen, Miß Aisha«, sagte er und küßte ihr die Hand, als empfange er einen lieben, ersehnten Besuch. »Hatten Sie eine gute Reise?«
»Was soll dieses Theater, Major Silverston?« Aisha strich ihre vom Wind zerzausten Haare aus dem Gesicht. »Ich bin gekommen, um Rechenschaft abzulegen.«
»Das haben wir nicht anders erwartet, Miß Aisha.«
Major Silverston faßte Aisha unter. Aber es war weniger eine zärtliche Geste, als vielmehr der Ausdruck einer Gefangennahme. »Unser Wagen wartet hinter dem Zoll. Wir brauchen ihn nicht zu passieren …«
»Wohin bringen Sie mich?« Aisha blieb stehen und sah sich um. Ob ich das alles noch einmal wiedersehe, dachte sie. Die weißen Schiffe, die fröhlichen Menschen, die bunten Fahnen, die kleinen, weißen Wolken am Himmel, die glänzende Sonne, das flimmernde Meer …
»Zunächst zu General Absalom. Er hat Ihnen einige Fragen zu stellen.«
»Ich weiß.« Aisha senkte den Kopf. »Ich glaube, ich bin die einzige Frau, die bisher in Israel standrechtlich erschossen wird, nicht wahr?«
Major Silverston schüttelte den Kopf. »Wer redet davon, Miß Aisha? Sie machen sich eine völlig falsche Vorstellung von den Konsequenzen. Wenn Sie ein Mann wären …« Der Major hob vieldeutig beide Schultern. »Aber Sie? Ich würde mich an ihrer Stelle mit dem Gedanken vertraut machen, einige Jahre in einem Kibbuz in der Negev-Wüste zu leben und den Boden zu kultivieren.«
»Verbannung?«
»Nein. Ehrendienst am Aufbau unseres Volkes.« Major Silverston führte Aisha an zwei grüßenden Militärposten vorbei zu einer vor dem Zollgebäude wartenden, dunklen Limousine. »Warum haben Sie so völlig versagt?« fragte er, bevor sie einstiegen. »Bitte, erklären Sie mir das, Miß Aisha, bevor wir zu General Absalom fahren. Haben Sie eine Erklärung dafür?«
»Ja«, antwortete Aisha fest.
»Und die wäre?«
»Ich habe zum erstenmal in meinem Leben gespürt, was Liebe ist.«
»Dummheit.«
»In Ihren Augen, Major. Aber ich bin eine Frau. Ich bin immer und zuallererst nur eine Frau, und dann erst eine Agentin. Das habe ich jetzt erkannt, und das hätte man auch in der Zentrale erkennen müssen. Man kann mich mit Lehren und Aufträgen vollpumpen, mit Logik und mit Angst … solange man mir nicht das Herz herausreißt, fühle ich.«
Major Silverston nickte mehrmals. »Das ist die wunde Stelle bei allen weiblichen Agenten. Von der Mata Hari über Mademoiselle Docteur bis zur
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