Nächte am Nil
hundert Höllen zu dir gefahren.«
Brockmann senkte den Kopf. Er erkannte den stillen Vorwurf, aber er fühlte sich nicht schuldig. »Ich hatte deine Urne«, sagte er. »Ich habe sie unter einen blühenden Malvenstrauch gesetzt, weil du Blumen immer so liebtest. Assban versprach mir, dir in Bir Assi ein schönes Grabmal zu bauen. Für mich warst du dort in der kupfernen Urne, und das Leben mußte weitergehen. Ich habe erst in der Wüste, bei meiner Befreiung durch Brahms, erfahren, daß du noch lebst.«
»Und wie … wie hast du dich entschieden?« fragte Birgit ganz leise.
»Entschieden? Wieso?« Er sah sie völlig entgeistert an.
»Lore – oder ich, Alf?«
»Mein Gott! Wie kannst du noch so etwas fragen?« Brockmann riß Birgit zu sich empor. »Wir haben in unserem Leben ein Jahr verloren, weiter nichts. Es ist mir jetzt, als sei ich nie von dir getrennt gewesen.«
»Dann laß uns zu Lore gehen.« Birgit legte die Arme um den Hals ihres Mannes. »Laß mich mit ihr sprechen, ja? Allein. So etwas können Frauen untereinander besser klären als ein Mann, der mit seiner angeblichen Logik viel zuviel zerredet. Komm, laß uns sofort fahren.«
Alf Brockmann küßte Birgit auf die goldenen Haare und drückte sie fest an sich.
»Wir fahren sofort.« Seine Stimme war etwas belegt, als er weitersprach. »Ich muß dir noch etwas beichten, Birgit …«
»Noch eine Frau?«
»Nein. Ich bin im Grunde genommen ein Feigling … das wollte ich dir sagen. Wenn du wüßtest, welche Angst ich vor dieser Aussprache hatte.«
»Du Dummer!« Birgit lachte und zog ihn an den Ohren. »Darin bist du nicht anders als andere Männer. Ihr seid alle so –«
Nun standen Birgit und Alf vor dem Zimmer Lores und hörten auf die Ermahnungen Dr. Halemis. »Keine Aufregung. Nicht länger als eine halbe Stunde. Die Patientin ist seelisch schwer angegriffen.«
»Wenn ich mit ihr gesprochen habe, wird sie schnell wieder gesund werden.« Birgit drückte Alf heimlich die Hand. Keine Angst, Liebster. Es wird gutgehen.
»Kann ich jetzt in das Zimmer?« fragte sie Dr. Halemi.
»Bitte. Und Sie?« Er sah Brockmann an.
»Ich warte hier auf dem Flur.«
Birgit atmete tief durch, dann drückte sie die Klinke herunter und betrat das helle Krankenzimmer.
»Wer ist gekommen?« fragte sie kaum hörbar.
Birgit schrak zusammen. »Ich bin es«, sagte sie stockend.
Der Kopf Lores zuckte zur Seite. Der dick verbundene Arm preßte sich in die weiße Wolldecke, mit der sie zugedeckt war.
»Wer sind Sie?«
»Birgit Brockmann – Alfs Frau –«
Sekundenlang lag lähmende Stille zwischen den beiden Frauen. Birgit setzte sich auf den Stuhl, der neben Lores Bett stand.
Es ist ein merkwürdiges Gefühl, seiner Nachfolgerin gegenüberzusitzen, dachte sie. Wäre ich wirklich gestorben, so wie es Alf geglaubt hat, wäre diese Frau einmal an meiner Stelle gewesen. Aber nun lebe ich. Und Alf gehört mir. Und ich gebe ihn nie, nie, nie her.
»Was wollen Sie von mir?« fragte Lore mit einer merkwürdig klaren Stimme. Birgit zuckte zusammen.
»Ich wollte Sie trösten.« Birgit beugte sich vor und legte ihre Hand auf das zerfetzte Handgelenk Lores. »Ich habe mit Alf gesprochen, und Alf hat mir alles erzählt. Alles. Wir alle sind Opfer ungeheurer Intrigen und Lügen gewesen, und wir haben gehandelt, wie diese Lügner es wollten. Keinem kann man einen Vorwurf machen. Es war, wenn man so will, alles logisch. Aber nun ist die Wirklichkeit ganz anders, und wir sollten uns damit abfinden, daß Träume eben nur Träume sind und das Leben immer wieder Wünsche weckt und Wünsche verschließt und trotzdem weitergeht. Auch Ihr Leben, Lore.«
»Welches Leben?« Die Stimme Lores klang voller Bitterkeit. »Ein Leben im ewigen Dunkel. Ich habe nicht die Kraft, das auszuhalten … allein auszuhalten.«
»Ich verstehe.« Birgit senkte den Kopf. »Alf war Ihr großer Halt.«
»Mein einziger.«
»Was soll nun werden?« Birgit lehnte sich zurück und bedeckte das Gesicht mit beiden Händen. O Gott, gib mir Kraft, auch das noch durchzustehen. Laß mich ganz ruhig sein, ganz nüchtern denken, ganz menschlich handeln. »Wir fahren in ein paar Tagen nach Deutschland zurück. Selbstverständlich kommen Sie mit uns, Lore. Alf will die besten Augenchirurgen bemühen. Er hat große Hoffnungen, daß eine Operation gelingen könnte.«
»Hoffnungen?« Lores Mundwinkel verzogen sich zu bitterem Spott. »Wofür Hoffnungen? Was habe ich davon, wenn ich sehe? Wenn ich Alf sehe …«
»Wenn
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