Nächte am Nil
Sie wieder sehen, steht Ihnen die Welt wieder offen, Lore.«
»Ach so. Die Operation als Freibillett, zu verschwinden. Das ist auch eine Version der Wohltätigkeit.«
»Warum sind Sie so verbittert. Lore?« Birgit faltete die Hände im Schoß. »Es ist nicht meine Schuld, daß ich nicht wirklich gestorben bin. Aber ich weiß. Sie wünschen mir den Tod.«
»Nein! O nein!« Lores Kopf zitterte. »Ich möchte sterben! Ich hasse dieses Leben.«
»Ich werde Sie nicht mehr allein lassen, Lore«, sagte Birgit leise, aber eindringlich. »Bis wir nach Deutschland fahren, werde ich bei Ihnen sitzen und Sie bewachen. Und ich werde bei Ihnen sein, wenn man Sie in Deutschland operiert.«
Birgit hielt die weißen, eiskalten Hände Lores fest. »Einmal wird eine andere Liebe zu Ihnen kommen.«
»Liebe? Männer – vielleicht. Davon haben sich genug angeboten. Aber Liebe?« Sie versuchte, ihre Hände dem Griff Birgits zu entziehen. »Bitte, gehen Sie und lassen Sie mich allein. Kümmern Sie sich nicht darum, was aus mir wird. Ich bin es nicht anders gewöhnt.«
»Aber das soll jetzt anders werden. Es ist auch Alfs Wunsch. Wollen Sie sich Alf widersetzen, Lore?«
»Bitte – gehen Sie –«, sagte Lore kaum hörbar unter Schluchzen. »Lassen Sie mich jetzt allein …«
Birgit erhob sich. Sie verstand Lore Hollerau. In den nächsten Stunden würde sich alles entscheiden.
»Ich kann mit Ihnen fühlen, Lore«, sagte Birgit leise. »Und ich glaube, ich hätte nicht die Kraft, gegen mich zu kämpfen.«
»Und von mir verlangen Sie es?«
»Man verlangt oft von anderen etwas, was man selbst gern tun möchte. Mir ist es bis heute ein Rätsel, woher ich die Kraft genommen habe, alle Gefahren zu überstehen, bis ich hier in Libyen war. Ich bin sonst eine schüchterne, ängstliche Frau.«
»Aber Sie lieben. Und diese Liebe gibt Ihnen alle Kraft dieser Erde.«
»Das stimmt.« Birgits Stimme sank ab. »Lore … aus dieser Kraft sollten auch Sie den Mut schöpfen, weiterzuleben.«
Lore hob den Kopf. Ihre Augen blickten Birgit an.
»Kommen Sie morgen wieder, Birgit?«
Es war eine Frage voll verhaltener Angst.
»Ja, Lore, jeden Tag, sooft Sie wollen.«
»Danke, Birgit.« Und als Birgit schon an der Tür war, fügte Lore hinzu: »Wo ist Alf?«
»Er wartet draußen auf dem Flur.«
»Grüßen Sie ihn, bitte … von einer Freundin …«
»Ja.« Birgits Kehle war wie zugeschnürt. »Von einer Freundin … so soll es weiterhin sein, nicht wahr?«
»Ja –«
Lores Kopf fiel in das Kissen zurück. Die Erschöpfung warf sie in einen lähmenden Zustand. Ihr Gesicht fiel ein, als sterbe sie in diesen Sekunden. Schnell verließ Birgit das Krankenzimmer. Auf dem Flur kamen ihr mit schnellen Schritten Alf und der Chefarzt entgegen.
»Nun? Was ist?« fragte Alf und sah Birgit tief in die flatternden Augen. Ein großes Schuldgefühl machte ihn unsicher. Birgit nickte mehrmals, ehe sie sprach.
»Es ist alles gut, Alf«, sagte sie leise und lehnte den Kopf an seine Schulter. »Sie fährt mit uns nach Deutschland. Wir … wir sind Freundinnen geworden.«
Zwei Tage später, Birgit saß wieder im Krankenzimmer Lores und las aus den neuesten Zeitungen vor, traten Alf Brockmann und Hauptmann Brahms aus dem Gebäude des libyschen Staatsministeriums hinaus auf die sonnenüberglühte Straße. Sie überquerten sie und setzten sich auf die Terrasse eines arabischen Cafés.
Die Würfel waren gefallen. Die Proteste der ägyptischen Regierung und die Auslieferungsanträge für Brockmann und Brahms waren so massiv geworden, daß ein Staatssekretär ihnen vor einer Stunde eröffnen mußte: »Entweder verlassen Sie innerhalb vierundzwanzig Stunden libyschen Boden, oder wir müssen Sie verhaften. Die gutnachbarlichen Beziehungen zu Ägypten sind für uns wichtig. Wenn Sie abreisen – gut, dann sind Sie eben weg. Da kann man nichts mehr machen. Aber nach spätestens vierundzwanzig Stunden müssen wir politisch handeln … und das schließt alle menschlichen Regungen aus.«
Anschließend überreichte der Staatssekretär noch einen genauen Flugplan. Danach ging eine Maschine am nächsten Morgen um sieben Uhr nach Rom ab, mit Anschluß an eine Maschine nach Frankfurt. »Der beste und sicherste Weg, meine Herren«, sagte der libysche Beamte. »Wir haben prophylaktisch schon zehn Sitzplätze reservieren lassen.«
»Es ist also soweit«, sagte Alf Brockmann, nachdem der Kellner den glühendheißen und dickflüssigen Mokka gebracht hatte. Dabei stieß Alf mit
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