Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nächte am Nil

Nächte am Nil

Titel: Nächte am Nil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
Vom Netzwerk:
Nachforschungen. Ein paar Tage vielleicht, bis sich alle Spuren verwischten. Und dann zurück nach Lübeck, und wenn es ein Weg durch die Hölle wird.
    Um ihr Kind zu retten, ringt eine Mutter selbst mit dem Teufel.
    Birgit öffnete leise das Fenster. Von ihrem Zimmer bis zum sandigen Boden waren es kaum drei Meter. Wenn sie hinuntersprang, würde es niemand hören. Auch sehen konnte man sie nicht, denn das Wohnzimmer Renatos lag nach vorn, während ihr Zimmer zur Seite, zum Meer hin, ging.
    Mit zitternden Händen packte sie in die Reisetasche das Allernötigste zusammen. Dabei bemerkte sie mit eisigem Schreck, daß die kleinere Tasche, in der ihr Geld, ihr Paß und alle Ausweise lagen, sich unten bei dem Gepäck Zuraidas befand.
    Wieder zögerte Birgit nur einen Moment. Aber es gab kein Zurück mehr. Sie ahnte, daß sie von dem Augenblick an eine Art Gefangene sein würde, in dem sie Zuraida die Zeitung zeigte. Es gab nur noch eine Freiheit für sie: die Flucht in das Ungewisse, der Weg in das Dunkel und durch das Dunkel.
    Ohne Paß, ohne Geld, ein fast nackter Mensch.
    Birgit drückte die Reisetasche an sich, schwang sich auf das schmale Fensterbrett, schob die Beine nach draußen und sprang. Sie kam mit einem dumpfen Laut auf, knickte in die Knie, fiel nach vorn und stützte sich mit beiden Händen auf. Die Reisetasche kollerte einen Meter weiter.
    Im Sand hockend, mit angehaltenem Atem, verhielt sie lauschend und wartend wie ein nach allen Seiten sichernder Hase. Dann, als sich nichts im Haus rührte, kroch sie zu ihrer Tasche und lief an der Hauswand entlang, am Stall, durch den Garten, zwischen den Netzen den Bergen zu, schlug dann einen Bogen und kehrte ans Meer zurück. Auf der Fahrt hatte sie von weitem die bunten Fähnchen des Campingplatzes gesehen. Dorthin wollte sie nun. Unter Menschen … das war ihr einziger Gedanke. Inmitten anderer Menschen bin ich sicher.
    Es dauerte fast eine Stunde, bis sie den Campingplatz erreichte. Ein alter Wagen mit englischer Nummer rumpelte gerade zwischen den Zelten auf die Zufahrtsstraße. Auf dem Dach, auf dem Gepäckträger, türmte sich die in Zeltbahnen eingehüllte Campingausrüstung.
    Birgit stellte sich auf die Straße und winkte mit beiden Armen. Knirschend hielt der Wagen, ein schmales, braungebranntes Gesicht schob sich durch das geöffnete Fenster.
    »Was ist denn?« fragte der Mann auf englisch. Aus dem anderen Fenster fuhr jetzt der Kopf einer Frau. Ihr fahlblondes Haar war in vielen Lockenwicklern aufgedreht.
    »Fahren Sie weg?« fragte Birgit und raffte ihr gesamtes Schulenglisch zusammen. »Fahren Sie ins Innere?«
    »Ja.« Der Mann musterte sie kritisch. »Und?«
    »Können Sie mich mitnehmen?«
    »Nein. Warum?«
    »Sie haben doch noch einen Platz hinten frei.«
    »Sogar zwei!« rief die Frau mit den Lockenwicklern ärgerlich. »Aber wir nehmen keine Fremden mit. Fahr los, Philipp.«
    Birgit hob wieder bittend beide Hände, als der Motor aufbrummte. Sie erkannte ihre große Chance, noch in dieser Nacht so weit weg von Coppafolio zu kommen, daß alles Suchen, wenn man ihre Flucht entdeckte, vergeblich sein mußte.
    »Bitte, nehmen Sie mich mit. Sehe ich aus wie ein Gangster? Im Gegenteil: Ich bin selbst überfallen worden.« Birgit begann zu weinen. Sie wollte weinen, und es fiel ihr nicht schwer. Sie brauchte nur an Jörgi zu denken.
    »Überfallen? Das ist interessant, Mabel.« Philipp, wie der Mann von seiner Frau genannt wurde, öffnete die Tür. »Steigen Sie ein, Miß …«
    »Berta Koller«, sagte Birgit geistesgegenwärtig.
    »… Miß Koller.«
    Später, auf der Fahrt, erzählte Birgit eine wüste Geschichte von einem Überfall in den Bergen. Ihren kleinen Wagen, alles Geld, alle Papiere habe man ihr weggenommen. »Sie haben doch gehört«, sagte sie zum Abschluß, »daß gerade hier in den Bergen noch die letzten Straßenräuber leben.«
    Philipp und Mabel hatten es nicht gehört, sie zelteten schon das dritte Jahr bei Coppafolio. Sie glaubten auch kein Wort von der Überfallgeschichte, aber sie fragten nicht weiter.
    In Potenza, der 823 Meter hoch gelegenen Bergstadt im Lukanischen Apennin, machten sie die erste Rast.
    Dort ließ sich Birgit auch den Zeitungsartikel übersetzen.
    Detlef-Jörg Brockmann, der Sohn des deutschen Raketenforschers, entführt. Ist es ein politisches Verbrechen? Bis jetzt noch keine Spur des Jungen.
    Entführt.
    Birgit Brockmann steckte das zerknüllte Zeitungsblatt wieder in den Blusenausschnitt. Einen Augenblick nahm

Weitere Kostenlose Bücher