Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nächte am Nil

Nächte am Nil

Titel: Nächte am Nil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
Vom Netzwerk:
Zeitungsjungen in den Straßen Roms aus.
    *
    Coppafolio war wirklich ein trostloses Fischernest. Außer genau neununddreißig Häusern aus roh behauenen Steinen und einer Kapelle, die jeden Sonntag von einem jungen Priester besucht wurde, um den Fischern den sonntäglichen Segen zu spenden, gab es etwas außerhalb von Coppafolio nur noch einen kleinen Campingplatz. Er lag an einem breiten Sandstrand und wurde lediglich von ›Kennern‹ benutzt, meistens sonnenhungrigen Engländern, die sich um die völlige Einsamkeit nicht kümmerten, sondern hier den Frühling und Sommer über eine winzige englische Kolonie bildeten.
    Sonst war nichts als Meer, mit Kieseln durchsetzter Strand, landeinwärts ansteigende, von der Sonne ausgeglühte Berge und verdorrte Holzstangen, an denen die Fischer ihre Netze zum Trocknen aufspannten.
    Das Besondere an dem einsamen Fischerdorf aber war ein Bootssteg, der erst vor einem Jahr von einer fremden Baukolonne ins Meer hinausgeschoben worden war. In unregelmäßigen Abständen ankerte dort ein weißes Motorboot. Es nahm Unbekannte, die mit großen Reisewagen heranfuhren, an Bord, und wie ein Geisterschiff verschwand es dann wieder. Meistens nachts. Die Fischer von Coppafolio machten sich darüber wenig Gedanken. Für sie war dieses Motorboot eine zusätzliche Einnahmequelle. Es brachte bei jedem Anlegen für jedes der neununddreißig Häuser einen guten Auftrag mit. Es kaufte alle frischgefangenen Fische auf, ohne nach Sorten oder Güteklassen zu fragen und zahlte Höchstpreise.
    Birgit Brockmann saß müde und wie zerschlagen hinten neben Zuraida im Wagen, als sie am späten Nachmittag Coppafolio erreichten. Das geöffnete Schiebedach gab wenig Linderung. Flugsand und Staub wirbelten herein und überzogen alles wie mit grauem Mehl.
    »Das Schiff ist noch nicht da«, sagte Zuraida und beugte sich zu dem bisher fast stummen Chauffeur vor. Sie waren auf der engen Schotterstraße aus den Bergen herausgekommen und konnten das Dorf und das Meer überblicken.
    »Wieder eine Zeitspanne.« Der Chauffeur sah auf seine Armbanduhr. »Der ganze Plan kommt durcheinander. Irgendwo ist der Wurm drin. Wir werden nun wohl bis zur nächsten Nacht warten müssen.«
    Sie fuhren bis zu einem großen Haus, das breiter und länger war als die anderen Steinhäuser. Es gehörte dem ›Bürgermeister‹ Renato und besaß als einziges Haus drei Zimmer, die man vermieten konnte. Renato hielt sie peinlich sauber und kassierte dafür Preise, wie sie sonst höchstens das ›Palasthotel‹ in Rom auf die Rechnung setzt.
    Renato stand schon vor der Tür, als der große Wagen mit knirschenden Bremsen hielt.
    »Willkommen!« rief er und machte drei tiefe Verbeugungen. »Oh, eine bella Bionda ist auch dabei. Ich werde den besten Wein aus dem Keller holen, den es weit und breit gibt. Wünschen die Herrschaften ein gebratenes Lämmchen oder soll es Fisch sein? Frutti di mare – o Madonna!« Er schnalzte mit der Zunge, klemmte das Gepäck unter die Arme und rannte zurück ins Haus.
    Birgit Brockmann aß wenig. Die Müdigkeit lag wie Blei in den Gliedern. Sie trank drei Schlucke Wein, strich dann die blonden Haare aus der Stirn und sah Zuraida, wie um Verzeihung bittend, an.
    »Ich bin total erschöpft. Ich lege mich etwas hin.«
    »Ich sage Ihnen Bescheid, wenn das Boot kommt.« Zuraida nickte. Aber bevor Birgit vom Tisch weggehen konnte, ergriff Zuraida ihre Hand und hielt sie fest. »Haben Sie Angst?« fragte sie leise.
    »Angst? Nein. Wovor?«
    »Was wir vorhaben, ist einmalig. Ich könnte verstehen, wenn Sie Angst haben. Mir ist es auch nicht ganz geheuer.«
    »Ich suche meinen Mann.« Birgit Brockmann löste ihre Hand aus dem Griff Zuraidas. »Der Gedanke allein, daß Alf lebt, gibt mir so viel Kraft, daß nichts sie erschüttern könnte … auch nicht die Angst vor dem Unbekannten.«
    In ihrem Zimmer setzte sich Birgit ans Fenster und starrte über das in der untergehenden Sonne wie geschmolzenes Gold aussehende Meer. Sie war müde, aber es war ihr nicht möglich, sich hinzulegen und zu schlafen. Ihre Nerven vibrierten, es war wie ein Flimmern, das durch ihren ganzen Körper zog.
    Was Zuraida vorhin gesagt hatte, stimmte. Je weiter sie nach Süden gekommen waren, erst mit dem Flugzeug, dann mit dem Wagen, hatte ihre Angst zugenommen. Sie hatte sich in eine Teilung ihrer Seele und Gefühle eingelassen, über die sie sich bis jetzt noch nicht einig war: Hier ihr Mann Alf, der angeblich tot sein sollte – dort der kleine

Weitere Kostenlose Bücher