Nächte am Nil
sie alle Kraft zusammen, um sich zu sagen: Auch das hält mich nicht von der Suche nach Alf ab … aber es war ein Selbstbetrug. Der Schmerz, Jörgi verloren zu haben, war so ungeheuer, daß sie nach einem hilfesuchenden Blick auf Philipp und Mabel in den Knien einknickte und ohnmächtig neben dem Auto in das ausgedörrte Gras sank.
*
Um vier Uhr morgens glitten ein grünes und ein rotes Positionslicht durch die Nacht auf die Küste bei Coppafolio zu. Dann sah man die Umrisse eines schönen, weißen Schiffes, das mit gedrosselten Motoren auf den Bootssteg zuwiegte und wie ein bizarrer weißer Schwan auf den leichten Wellen schaukelte.
Zuraida, von Bürgermeister Renato geweckt, rannte die Treppe hinauf zu Birgits Zimmer und klopfte.
»Aufstehen!« rief sie. »Das Schiff ist da. Machen Sie auf!«
Nach zehnmaligem, vergeblichem Klopfen durchzog es Zuraida eiskalt. Sie hastete die Treppe hinunter, schrie dem Chauffeur etwas zu, und beide rannten wieder hinauf. Im Flur hörte Renato mit Händeringen, wie nach vier dröhnenden Schlägen die Tür splitterte. Dann rannte Zuraida wieder die Treppe hinunter, aus dem Haus und unter das geöffnete Fenster. Oben beugte sich der Kopf des Chauffeurs heraus.
»Hier sind ihre Spuren«, keuchte Zuraida. »Sie sind noch frisch, sie kann nicht weit gelaufen sein.«
Während das weiße Schiff anlegte, raste der dunkle Reisewagen die Bergstraße entlang. Er kam auch auf der Rückfahrt an dem Campingplatz vorbei. Aber hier schlief alles. Der Wächter hatte keine junge blonde Frau gesehen. »So etwas fiele mir doch auf, Signore«, sagte er treuherzig. »So blond ist doch etwas fürs Herz.«
Zuraida stand unterdessen dem Kapitän der Jacht, Major Ephraim Ganal, gegenüber.
»Eine dumme Sache«, sagte Major Ganal ernst. »Sie werden sich verantworten müssen. Sie hatten den Auftrag, nicht von der Seite Frau Brockmanns zu weichen. Das einzige, was wir tun können, ist, das Haus in Lübeck zu bewachen. Was aber zwischen Lübeck und Kairo in Zukunft geschieht, entzieht sich unserer Beobachtung – es sei denn, wir haben ein unverschämtes Glück. Und daran glaube ich nicht. Ich bin Realist.«
Zuraida senkte den Kopf. Das schwarze Haar fiel ihr über das bleiche Gesicht. »Was … was geschieht jetzt mit mir?« fragte sie. Ihre Stimme war dünn wie ein Kinderstimmchen und zitterte.
Major Ganal kniff die Lippen zusammen. »Wir werden Sie zur Zentrale bringen, Zuraida«, sagte er gepreßt. »Sie allein entscheidet. Mein Auftrag ist es nur, hin und her zu fahren.«
Entgegen aller Planungen blieb die weiße Jacht bis zum Mittag am Bootssteg liegen. Matrosen schwärmten aus und fragten überall nach einer blonden Frau. Ein Kontaktmann in Neapel und in Rom wurde benachrichtigt, das war alles, was man tun konnte.
Birgit Brockmann blieb verschwunden.
Auch die Suche nach einem alten englischen Auto, das in der Nacht den Campingplatz verlassen hatte und das Birgit hätte mitnehmen können, blieb ergebnislos.
»Es bleibt wirklich nur noch eine Hoffnung«, sagte Major Ganal, als er alle Suchergebnisse auswertete. »Frau Brockmann hat weder Geld noch ihren Paß bei sich. Geld ist nicht so wichtig, aber die Papiere. Ohne Paß ist heutzutage ein Mensch nicht lebensfähig. Irgendwo muß sie also auftauchen, um sich neue Papiere zu verschaffen. Das ist nur möglich in einem deutschen Konsulat. Wir werden ab sofort sämtliche deutschen Konsulate in Italien beobachten lassen. Das ist unser letzter Hoffnungsschimmer.«
Aber auch dieser erlosch, als die ganze Woche lang keine Birgit Brockmann in der Nähe eines Konsulats bemerkt wurde. Um so genauer wurde das kleine Haus am Kanal bewacht.
Die fehlende abgerissene Titelseite der Zeitung, die man auf dem Tisch gefunden hatte, wies deutlich den Weg. Es war klar, daß eine Mutter ihr Kind nicht in der Gefahr läßt.
Nur – wie kommt eine Frau ohne Paß von Süditalien nach Lübeck?
Und so wartete man auf das Auftauchen Birgit Brockmanns wie auf das Erscheinen eines Naturereignisses.
*
In Lübeck war man keinen Schritt weitergekommen.
Das eingeschaltete politische Dezernat der Kriminalpolizei lief sich tot. Der Kriminalrat unterrichtete Konrad Gerrath mit saurer Miene von seinen Mißerfolgen.
»Wir laufen gegen eine Mauer des Schweigens und des Nichtverstehens«, sagte er. »Das Haus Elbaussicht: Fehlanzeige. Biedere Händler wohnen dort, die noch nie etwas von einem Geheimdienst gehört haben. Das ägyptische Konsulat? Es kann sich an nichts
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