Nächte am Nil
erinnern.«
»Aber das ist doch unmöglich.« Gerrath steckte sich mit bebenden Fingern eine Zigarre an. »Ich war doch selbst dort. Ich kann Ihnen genau beschreiben, wie es im Zimmer des Konsuls aussah. Wenn man zur Tür hereinkommt, so steht links …«
»Ich glaube Ihnen ja, Doktor«, sagte der Kriminalrat etwas gequält. »Aber beweisen Sie es mal, ohne große politische Kontroversen heraufzubeschwören. Mit Glacehandschuhen anfassen, so lautet unsere Devise. Keinen reizen, immer so tun, als sage jeder die Wahrheit. Und dann handeln. Aber auch hier: Vorsicht. Mein lieber Doktor, es gibt kein heißeres Eisen als die Geheimdienste. Und in diese Mühle sind Sie geraten.«
»Und was nun?« fragte Gerrath heiser.
»Warten wir ab, was kommt. Unsere V-Männer haben auch keine Ahnung, und gerade sie müßten wissen, wo der Junge steckt.« Der Kriminalrat beugte sich zu Gerrath vor: »Sagen Sie mal – dieser Brockmann, ist das wirklich ein so wichtiger Mann?«
»Er ist Raketenspezialist.«
»Ich weiß. Aber davon gibt es viele.«
»Und außerdem ist er auf seinem Gebiet das, was man ein Genie nennt.« Gerrath legte die Zigarre weg, sie schmeckte plötzlich bitter. »Es ist Ihnen also völlig klar, daß Jörgis Verschwinden eine politische Entführung ist.«
»Ja«, antwortete der Kriminalrat ohne Zögern.
»Und was raten Sie mir?«
»Das Allervernünftigste: Rufen Sie Frau Birgit zurück.«
»Ich weiß nicht, wo sie im Augenblick ist.« Gerrath hob hilflos die Schultern. »Irgendwo im Süden. Die Männer an der Elbaussicht wissen es genau.«
»Die harmlosen Händler.« Der Kriminalrat sah auf seine verschränkten Hände. »Dann bleibt uns nur der Weg, den ich am wenigsten schätze: Das große Theater im Blätterwald. Wir werden den Bericht der Kindesentführung freigeben. Vielleicht liest Frau Birgit irgendwo diese Meldung und kommt zurück.«
»Vielleicht.« Konrad Gerrath stand auf und ging erregt hin und her. »Aber so schnell gebe ich mich nicht geschlagen. Ich werde auf eigene Faust ermitteln. Ich werde die Spuren aufrollen. Ich werde zum schreienden Gewissen werden.«
»Bei Gegenspielern, die kein Gewissen kennen? Doktor, ich warne Sie in aller Freundschaft. Bei diesem Alleingang sind Sie völlig schutzlos.«
»Ich weiß es!« rief Gerrath verbittert.
»Keine deutsche Behörde kann Sie unterstützen. Im Gegenteil: Wenn sich jemand über Sie beschwert, müssen wir Sie behindern. Im Interesse der öffentlichen Sicherheit, wie man so schön sagt. Lassen Sie die Zeit arbeiten, Doktor.«
»Und der kleine Jörgi?« schrie Gerrath.
Der Kriminalrat hob die Schultern. »Auch hier wird die Zeit vieles tun.«
»Ganz richtig. Verwesen wird er.«
»Doktor!« Der Kriminalrat erhob sich und legte die Hand auf Gerraths Schulter. »Ich verstehe Ihren Schmerz und Ihre ungeheure Erregung. Aber bitte, verstehen Sie auch mich. Unsere Möglichkeiten sind erschöpft, weil es nur geringe Möglichkeiten sind und alle beteiligten Personen die Immunität der Diplomaten besitzen. Wir können wirklich nur auf den berühmten Zufall – oder auf ein Wunder hoffen.«
Konrad Gerrath war nicht bereit, auf dieses Wunder zu warten. In der Nacht noch fuhr er nach Hamburg und begann, alle Stellen selbst aufzusuchen, die er mit Birgit besucht hatte.
Im ägyptischen Konsulat begann es.
Ein Konsulatsangestellter sah Gerrath groß an und schüttelte den Kopf.
»Uns ist gar nichts bekannt«, sagte er höflich und mit einem verbindlichen Lächeln.
»Aber ich war doch hier! Sie selbst haben mich zum Konsul geführt!« schrie Gerrath.
»Ich? Nein. Ich kenne Sie überhaupt nicht. Ich habe Sie nie gesehen, mein Herr.« Der Konsulatsbeamte lächelte hartherzig. »Und eine Dame? So etwas behält man doch.«
»Ich kann Ihnen genau sagen, wie es da hinter der Tür im Arbeitszimmer des Konsuls aussieht.«
»Warum? Ich weiß, wie es dort aussieht.« Der Ägypter erhob sich, ein Zeichen, daß er die Unterredung als beendet betrachtete. »Mein Herr, Sie müssen sich irren. Bitte, überprüfen Sie noch einmal Ihre Erinnerung.«
»Und die Urne? Die beiden Totenscheine?« schrie Gerrath und ballte die Fäuste in ohnmächtiger Wut.
»Ach, die Sache Brockmann? Tragisch, nicht wahr? Sie kennen die arme Witwe?«
Gerrath gab es auf. Er verließ das Konsulat, als flüchte er vor einem ihm nachfolgenden Feuer.
Im Hause Elbaussicht war es nicht anders. Dort öffnete ein junger Mann die Tür und führte den vor Erregung schwitzenden Gerrath in den
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