Nächte am Nil
gleichen Raum, in dem er mit Birgit und den Offizieren gesessen hatte. Der große Tisch stand noch mitten im Raum, auf dem die Karten gelegen hatten. Und dort, dachte Gerrath, hat dieses geheimnisvolle Mädchen gesessen. Zuraida hatte es geheißen.
»Hier? Hier haben nie Offiziere gewohnt, mein Herr«, sagte der junge Mann höflich, aber bestimmt, als Gerrath auf den Tisch zeigte und ihn danach fragte. »Wir sind eine Exportfirma für Teppiche und Webwaren. Noch jung, im Aufbau begriffen, deshalb sieht hier alles noch ein bißchen improvisiert aus. Aber Offiziere? Nein. Wie kommen Sie darauf? Ich dachte, Sie wollten uns einen Auftrag …«
Konrad Gerrath sank auf einen der Stühle und legte den Kopf zurück. »Ich werde verrückt«, stöhnte er. »Ich fange an, an meinem eigenen Verstand zu zweifeln. Hier, hier auf diesem Stuhl habe ich gesessen, und mir gegenüber saß ein Major David Goldsohn.«
»Es gibt in unserer Firma keinen Herrn Goldsohn«, sagte der junge Mann und lächelte impertinent. »Sind Sie sicher, daß Sie sich nicht in der Adresse geirrt haben? Hier ist Elbaussicht 17.«
Konrad Gerrath verließ auch dieses Haus mit dem Gefühl, durch Feuer und Wasser gezogen zu sein. Er ging hinunter zum Elbufer und sah verzweifelt über den breiten, trägen Strom.
Die Mauer des Schweigens. Niemand würde sie einreißen können. Und niemals würde man wieder etwas von Jörgi erfahren. Man hatte ihn verschwinden lassen wie vorher seinen Vater Alf Brockmann.
Was gilt ein Mensch, wenn es um die Macht eines Staates geht?
Weiter, dachte Gerrath. Nicht lockerlassen. Das Gewissen wird nie müde. Wer nicht auf das glühende Eisen schlägt, kann auch keine Funken sehen. Und ich werde schlagen, immer und immer wieder, bis eine Stelle weich wird, bis die Kette zerbricht, denn es ist eine alte Weisheit, daß eine Kette immer nur so stark ist wie ihr schwächstes Glied.
Nach vierzehn Tagen wußte Gerrath, daß es in Deutschland nicht und nirgendwo auf der Welt eine Stelle gab, die sich für das Schicksal Jörgis und Birgits und erst recht für das Schicksal Alf Brockmanns interessierte. Ein Beamter in Bonn sagte es sogar ganz klar, als Privatmann, bei einer Tasse Kaffee:
»Mein lieber Doktor Gerrath, im Grunde genommen hat sich dieser Brockmann das alles selbst zuzuschreiben. Warum geht er zu den Arabern und baut Raketen? Warum bleibt er nicht im Vaterland?«
»Weil das Vaterland Millionen für die Kultivierung des Busches und noch mehr Millionen für einen unverbindlichen Ausspruch irgendeines Negerfürsten übrig hat, aber nicht für die wissenschaftliche Forschung.«
*
Berta Koller hatte einen Nervenschock bekommen. Sie wurde zur Kur in den Schwarzwald geschickt, das kleine Haus am Kanal wurde verschlossen. Es war ausgestorben. Mit seinen heruntergelassenen Rolläden und dem schnell verwildernden Garten sah es wie ein Totenhaus aus.
Noch einmal versuchte es Konrad Gerrath. Er flüchtete in die Öffentlichkeit. Er wollte das Gewissen aufreißen.
Er schrieb einen großen Artikel in einer Zeitung. Er schilderte alles. Er beschrieb die Zusammenarbeit mit den Offizieren, die aufgesägte Urne, Zuraida, das Konsulat, die merkwürdigen Totenscheine.
Es war eine wüste Kriminalstory; wenigstens wurde sie von den Lesern so aufgefaßt. Beim Morgenkaffee wurde sie gelesen, am Abend war sie bereits vergessen. Die Lottoquoten waren wichtiger. Und außerdem gab es da noch interessante Spiele in der Bundesliga.
Nur Gerrath selbst erfuhr die Wirkung. Auf seinen Schreibtisch im Anwaltsbüro flatterte mit der nächsten Post ein Brief ohne Absender. Mit Tusche und großen Buchstaben war ein einziger Satz geschrieben:
»Wer länger leben will, schweigt.«
Gerrath brachte den Brief sofort zur Kriminalpolizei. Dort schüttelte man den Kopf und lächelte verlegen.
»Ein dummer Scherz, Herr Doktor«, sagte man. »Sie wissen doch … manche lieben die Sensation.«
Und dann wieder Schweigen.
Ein Krieg im Dunkeln muß dunkel bleiben.
*
Eine Woche nach seiner Entführung wurde Jörgi plötzlich krank. Zareb, der jeden Tag nach dem Rechten sah, stand vor dem Bett und sah auf den fiebernden Jungen hinab. Das Gesicht Jörgis war gerötet und vor Schmerzen verzerrt. Er preßte beide Hände auf den Bauch und wimmerte leise.
»Das fehlt uns noch«, sagte Zareb düster. »Wie er so daliegt, sieht alles nach einer Blinddarmentzündung aus.« Er deckte Jörgi wieder zu und verließ mit dem Hausverwalter das Zimmer. Von einer Art Bibliothek
Weitere Kostenlose Bücher