Nächte am Nil
klingt so lebensfroh. Sommer. Die Hauptsache ist doch, daß Sie damit nach Hause kommen. In Deutschland können Sie ihn wegwerfen.«
»In Deutschland –« Birgit starrte auf ihr Bild und auf den Namen Helga Sommer. Ein wahnwitziger Gedanke war ihr gekommen.
Der Ehefrau des Forschers Alf Brockmann war die Einreise nach Ägypten verboten. Jeder Grenzposten wußte es, jeder Soldat an der libyschen Grenze, die Kamelreiterstreifen im Sinai, die Jeepkontrollen am Sudan. Aber eine Helga Sommer kannte niemand. Eine Helga Sommer konnte mit einem Schiff in Alexandrien landen und als harmlose Touristin den Nil hinauffahren; nach Gizeh, Assuan, Abu Simbel. Niemand würde sie aufhalten, sie würde ein Gast sein wie tausend andere Reisende.
»Sie haben recht, Signore Bertolli«, sagte Birgit und drückte den Paß an ihr Herz. »Dieses Papier ist wertvoll. Wertvoller, als wir überhaupt ahnen können.«
*
Dr. Sikku hatte seine Untersuchung abgeschlossen. Jörgi lag mit weit aufgerissenen, glänzenden Augen auf dem Tisch, sein kleiner, nackter Körper war mit Schweiß überzogen. Er war in ein Fieberdelirium versunken und erkannte niemanden mehr.
»Was ist, Doktor?« fragte Zareb, der auf einem Stuhl an der Wand saß.
»Einwandfrei Blinddarm. Ein akuter und kritischer außerdem. Der Junge muß sofort in die Klinik.« Dr. Sikku, der Hausarzt des ägyptischen Konsulats, hatte in Oxford und Heidelberg studiert und galt in Hamburg als guter Chirurg. Wenn selbst er eine Klinik empfahl, war der Zustand Jörgis wirklich kritisch.
»Unmöglich«, sagte Zareb und schüttelte den Kopf. »Wir müssen den Jungen hierbehalten.«
»Anweisung! Bei diesem akuten Blinddarm hören alle Anweisungen auf.« Dr. Sikku deckte den nackten, im Fieber sich schüttelnden Körper zu. »Es sei denn, der Junge wird damit zum Tode verurteilt.«
»Ihre Ausdrucksweise ist ungeschliffen, Doktor.« Zareb erhob sich von seinem Stuhl. »Eines ist klar: Wenn nur eine Klinik helfen kann, muß der Junge sterben. Aber Sie sind ja hier. Sie werden hier operieren.«
»Hier? Auf dem Küchentisch? Nein. Nicht einen solchen Fall.«
»Doch, Doktor.«
»Nein. Ich bin Arzt, aber kein Mörder.«
»Es geht um unsere Heimat, Dr. Sikku. Der Junge ist so wertvoll wie tausend Jahre ägyptische Geschichte.«
»Und wenn er alle Pharaonen in den Schatten stellt – ich operiere nicht.« Dr. Sikku nahm seine Tasche vom Tisch. Doch dann erstarrte er. Er blickte in die Mündung eines Revolvers. Zareb stand an der Tür, sein Gesicht war ausdruckslos und maskenhaft.
»Packen Sie die Instrumente aus, Doktor«, sagte er mit völlig ruhiger Stimme. »Sie werden operieren. Heißes Wasser steht bereit, auch genug Kessel, um die Instrumente steril zu machen. Ich assistiere Ihnen, sobald Sie den Bauch offen haben. Dann weiß ich, daß Sie nicht weglaufen. Bis dahin werden Sie im Schatten meines Revolvers arbeiten müssen. Mein Sekretär wird Ihnen alles bringen, was Sie brauchen.«
Dr. Sikku blickte auf den fiebernden Jörgi. Er kann gerettet werden, wenn ich sofort operiere, dachte er. Aber hier hilft nicht mehr allein die Kunst meiner Finger, hier muß auch das Glück helfen – oder Gott, wie die Christen sagen … oder Allah … Seine große Chance ist die Rettung; der Tod bleibt ihm auf jeden Fall, unter meinem Skalpell oder – mit geschlossenem Bauch – an der Sepsis einer Bauchfellentzündung.
Dr. Sikku stellte die Tasche wieder hin und zog seinen Rock aus. Zareb lächelte leicht.
»Wie gut wir uns verstehen, Doktor. Ich weiß, welcher Künstler Sie am OP-Tisch sind. Warum wollten Sie mir nicht den Genuß gönnen. Sie bei der Arbeit gegen den Tod zu bewundern?«
Dr. Sikku antwortete nicht. Er räumte seine große Tasche aus. Das Instrumentarium, Äther, Klemmen, Tupfer in einer sterilen Metalldose, Nadeln, Seide, Katgut, Desinfektionsmittel, Seife.
»Ich brauche viel Wasser«, sagte er. »Und die Instrumente müssen ausgekocht werden.«
»Wird sofort erledigt, Doktor. Bitte, kommen Sie mit in die Küche. Dort steht alles bereit.«
Dr. Sikku gab Jörgi, bevor er Zareb folgte, erst eine Herzinjektion und fühlte noch einmal den Puls, hörte das Herz ab und maß den Blutdruck. Es wurde eilig. Die Kraft entwich aus dem kleinen, fiebernden Körper.
»Haben Sie einen Strick da, um den Jungen an den Tisch zu binden?« fragte Dr. Sikku, als er sich in der Küche die Hände und Arme schrubbte und zusah, wie der Sekretär die Instrumente in das kochende Wasser legte.
Weitere Kostenlose Bücher