Nächte am Nil
»Narkotisierte sind oft unruhig.«
»Mit den Stricken, die ich hier habe, können Sie eine Elefantenherde fesseln.«
»Danke. Es ist bloß ein kleines Kind.«
Zareb schwieg. Sein Mund wurde schmal. Er steckte den Revolver ein und begann, Arme und Beine Jörgis festzubinden. Dr. Sikku kam nach einer Weile aus der Küche und nickte zustimmend.
»Fesseln haben Sie gelernt.«
»Lassen Sie die dummen Bemerkungen.« Zareb sah auf den fiebernden Jungen, »ich weiß überhaupt nicht, warum man das Kind wie ein rohes Ei behandelt. Der Erfolg seiner Entführung ist ausgeblieben, seine Mutter ist nicht zurückgekommen. Warum also noch hierbehalten? Ich wäre dafür, Doktor, Sie richten die Narkose so ein, daß er nicht wieder aufwacht.« Zareb hob beide Hände, als Dr. Sikku ihn wortlos stehenließ. »Ich garantiere, es gibt nur neue Schwierigkeiten, wenn er weiterlebt.«
Dr. Sikku legte die ausgekochten Operationswerkzeuge auf ein weißes Tuch neben Jörgi. Dann deckte er den Körper mit Handtüchern ab, reinigte die Operationsstelle mit Alkohol und bepinselte sie mit Jod. Als er zum Skalpell griff und mit dem Daumen die Schärfe prüfte, wurde Zareb ein wenig blaß.
»Brauchen Sie mich noch, Doktor?« fragte er.
»Aber ja. Sie müssen doch mit Ihrem Revolver hinter mir stehen.«
Zareb preßte die Lippen zusammen und blieb stehen. Als der erste Hautschnitt gemacht wurde, blickte er weg. Er hörte das Klappern von Klemmen und Zangen, hörte, wie Dr. Sikku zu dem Sekretär sagte: »Nun tupfen Sie etwas fester. Der Junge spürt es ja nicht«, und merkte nach kurzer Zeit einen widerlichen süßlichen Geruch von Blut und Eiter.
Er blickte kurz zum Tisch und sah in die geöffnete Unterbauchhöhle. Eine rötlich-graue, mit Eiter durchsetzte formlose Masse quoll zwischen Haken und Klemmen hervor. Der bereits vom Eiter des durchgebrochenen Blinddarms verklebte Dickdarm.
Zareb fühlte ein Würgen in der Kehle. Sein Magen drehte sich um und stieß nach oben. Er warf beide Hände vor den Mund und rannte hinaus. Auf der Toilette erbrach er sich, und blieb dann draußen vor dem Haus auf einer Bank sitzen, bleich und immer noch von würgender Übelkeit gepackt, wenn er an den Anblick dachte.
Die Operation dauerte über eine Stunde. Dann schwankte der Sekretär aus dem Haus und ließ sich neben Zareb auf die Bank fallen. Er riß den Mund auf und schnappte nach Luft wie ein Fisch auf dem Trockenen.
»Was ist?« fragte Zareb heiser. »Ist er tot?«
Der Sekretär schüttelte den Kopf. »Dr. Sikku macht die letzten Nähte. O Allah, hat er gesegnete Hände. Er hat die Därme gereinigt, er hat gekämpft wie ein Löwe, er hat das Leben zurückgeholt, für das man keinen Penny mehr gegeben hätte. Dieser Hakim ist ein Wunder.«
Zwanzig Minuten später trat auch Dr. Sikku aus dem Haus. Er sah erschöpft aus, aber er setzte sich nicht, sondern sah mit einem langen Blick der Verachtung hinunter zu den beiden Männern auf der Bank.
»Ich habe meine Pflicht getan«, sagte er rauh. »Nun können die Kerkerknechte wieder ans Werk.«
»Doktor.« Zareb sprang auf. »Glauben Sie, mir macht das Spaß?«
»Was ich glaube, möchte ich nicht sagen.« Dr. Sikku steckte sich mit leicht bebenden Fingern eine Zigarette an und inhalierte gierig den Rauch. »Der Junge darf in den nächsten acht Tagen nicht ohne Aufsicht bleiben. Keine Minute. Ich weiß nicht, ob wir eine Bauchfellentzündung abgewendet haben. Das wird sich erst zeigen in den nächsten drei, vier Tagen. Was wir brauchen, ist eine Pflegerin.«
»Woher?« Zareb schüttelte den Kopf. »Es ist zu gefährlich, Doktor.«
»Ich schicke meine Praxisschwester.« Dr. Sikku blickte über die Elbe. Von Schleppern und Lotsenbooten gezogen, glitten die großen Frachtschiffe hinauf zum Hafen.
»Wird sie schweigen?« fragte Zareb.
»Sie ist Ägypterin.«
»Einverstanden.«
Nachdem Dr. Sikku seine Zigarette geraucht hatte, gingen sie zusammen zurück ins Haus.
Jörgi lag in seinem ›Gefängniszimmer‹ im Bett. Die Narkose wirkte noch. Sein kleines, schmales Gesicht war spitz und gelbweiß. Aber das Fieber war gesunken. Der Puls jagte nicht mehr, der Atem war, noch durch die Narkose, flach und röchelnd.
»Er hat in der Narkose nach seiner Mutter gerufen«, sagte Dr. Sikku leise. Er beugte sich über Jörgi und tupfte ihm kleine Schweißperlen von der Stirn. »›Mutti, hol mich …‹ hat er gerufen.«
Zareb verließ stumm das Zimmer. Er kannte keine seelischen Erschütterungen, aber
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