Nächte am Nil
krepiert? Spiele nicht die Heilige, du! In der Wüste siegt der Satan, aber nicht der Engel!«
»Aisha!« rief Brockmann. Er sah, wie Lore sich abwandte und mit dem steifen, tastenden Schritt, den Blinde an sich haben, ins Wohnzimmer ging. Er wollte ihr nach, aber Ludwigs hielt ihn fest.
»Bleiben Sie. Aisha hat recht. Sie müssen weg, Brockmann, und das so schnell wie möglich. Ich sagte Ihnen, daß ich gekommen war, um Sie zu töten …«
»Nein!« schrie Aisha auf. Mit einem verzweifelten Satz warf sie sich zwischen Alf und Ludwigs. In ihrer Hand blitzte plötzlich ein kleiner Dolch mit einer gebogenen Damaszenerklinge auf. Sie mußte ihn unter dem Kleid verborgen gehalten haben. Ehe Ludwigs zurückweichen konnte, hatte sie zugestoßen und schlitzte ihm den in einer Abwehrreaktion hochgehobenen Arm auf. Blut spritzte über Aisha und Brockmann. Ludwigs taumelte zurück, aber Aisha sprang ihm nach und hob den Dolch zum neuen, zum tödlichen Stoß.
»Das ist ja ein Irrtum!« rief Ludwigs. Er rief es rechtzeitig … schon im Schwung, blieb Aishas Arm in der Luft stehen. Die blanke Klinge blitzte in der Sonne.
Brockmann packte Aishas Handgelenk und entwand ihr den Dolch. »Bist du verrückt?« stammelte er. »Ludwigs ist unser Freund.«
»Er sollte dich töten«, wimmerte Aisha. Sie fiel plötzlich zusammen. Alle Wildheit verließ sie. Sie war nur noch ein kleines, weinendes Mädchen …
Ludwigs hatte sein Hemd in Streifen gerissen und band seinen Arm damit ab. Die Terrasse war mit Blut beschmiert. Als röche man den Blutgeruch meilenweit, kreisten bereits zwei Geier über dem Garten.
»So ein Teufel«, stotterte Ludwigs und starrte Aisha an. »Himmel noch mal … solch ein Satan.« Er hatte einen Knebel gebildet und sah, daß die Blutung stand. Aisha senkte den Kopf, wandte sich ab und rannte ins Haus.
»Ich kann Ihnen helfen, Brockmann«, sagte Ludwigs mit flatternder Stimme. Jetzt begannen die Wundschmerzen in dem aufgeschlitzten Arm. »Ich habe eine Wüstenspezialkarte besorgt. Mit allen Wasserstellen. Das ist wichtiger als alles. Wenn die Karte stimmt, müssen Sie die ersten fünf Tage von eigenen Wasservorräten leben, denn Ihr Weg führt Sie durch ein Gebiet, wo nur Sand und Salzsümpfe sind. Dann kommen einige Wasserstellen in Abständen von je einem Reittag. Bis zur libyschen Grenze aber müssen Sie dann noch durch das Gebiet des berüchtigten ›Großen Sand-Sees‹. Das ist die eigentliche Todesstrecke. Hier gibt es nur noch Sand und Sonne und das Gebet zu Gott: Laß mich durch, o Herr! Nicht einmal Geier gibt es dort, weil da noch nie ein lebendes Wesen durch den Sand gekrochen ist. Wenn Sie diesen Sand-See überwunden haben, können Sie Gott eine Kathedrale bauen. Diesen Weg hat noch keiner vor Ihnen geschafft.« Ludwigs setzte sich. Der Blutverlust machte sich bemerkbar. Seine Beine zitterten. »Wenn meine Wüstenkarte stimmt, müßten Sie es schaffen. Sie dürfen sich nur nicht verlaufen.«
Aus dem Haus kam Aisha gelaufen, den Verbandskasten in den Händen. »Gib her!« sagte Brockmann und griff zuerst zur Staubinde. Er band den Arm ab, reinigte die Wunde mit Alkohol und sah, daß keine Schlagader getroffen war, sondern der Dolch nur den Armmuskel aufgeschlitzt hatte. »Wo haben Sie die Karte?«
»In meinem Reisegepäck. Ich hole sie gleich.«
»Reiten wir, Oulf?« fragte Aisha kläglich. Sie hockte neben dem Tisch wie ein Negersklave.
»Ja. Kannst du alles besorgen, Aisha?«
»Alles.«
»Was macht Lore?«
»Sie sitzt im Zimmer und hört Radio. Aber sie weint dabei.«
»Sag ihr, ich komme gleich. Aber sage ihr nicht, was du hier getan hast.«
»Nein, Oulf.«
Aisha erhob sich und lief lautlos ins Haus zurück. Ludwigs sah ihr tief atmend nach. Die Wunde brannte höllisch.
»Warum ist sie nicht Ihre Geliebte, Brockmann?« fragte er.
»Wer?«
»Aisha –«
Brockmann verband den Arm Ludwigs. »Ich habe Angst davor, mich völlig aufzugeben«, sagte er langsam und ließ die Mullbinde um den verletzten Arm kreisen. »Aisha zu lieben, heißt, nur noch Liebe zu sein – und sonst nichts mehr.«
*
Nur zwei Stunden war Birgit in dem kleinen, stinkenden Zimmer des Halsabschneiders Achmed Sibkir geblieben. Im Hof des Hauses lärmte eine Kinderschar, auf dem Dach über ihr trappelten ebenfalls viele Füße, es roch nach faulendem Obst, Kamelurin und Kloake. Nach der Überwindung der ersten Erregung nahm sie deshalb ihr weniges Gepäck, drückte dem auf arabisch lamentierenden Sibkir noch ein
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