Nächte am Nil
Ägypten?«
»Ja.«
»Darf man fragen, wo?«
»In Fort Gizeh«, sagte Birgit. Das wird ihn abhalten, weiter zu fragen, dachte sie. Fort Gizeh scheint hier einen mystischen Klang zu haben.
Faruk Ben Sahedi hob die Augenbrauen. Er reichte Birgit das Fruchtgetränk und hob sein Glas. »Auf eine gute gemeinsame Fahrt, gnädige Frau. Bis Fort Gizeh ist es noch eine Stunde Fahrt. Ich frage mich bloß, wo Sie dort anlegen wollen? Das Fort ist nur über dem Landweg zu erreichen. Jedes Boot, das am Ufer hält oder sich auch nur langsam dem Ufer nähert, wird ohne Warnung beschossen. Jeder Kahnruderer weiß das, auch unser Kapitän.«
»Natürlich.« Birgit nahm das Glas und trank das eiskalte Getränk mit kleinen, schnellen Schlucken. Die glühende Hitze hatte sie wirklich durstig gemacht. Es schmeckte süßlich und sauer zugleich, und darunter mischte sich ein Geschmack wie von Mandeln oder Nüssen. Das Getränk erfrischte sofort, sie spürte, wie das Blei in ihren Adern sich auflöste. »Ich will Fort Gizeh auch nur vom Nil aus sehen. Am Abend fahre ich dann zu meinem Mann.«
»Ein beneidenswerter Mensch.« Faruk Ben Sahedi prostete Birgit zu. »Ich habe noch nie ein solches Blond wie das Ihrer Haare gesehen, gnädige Frau. Es faszinierte mich, als ich Sie am Ufer sah. Und als ich erfuhr, daß Sie mit diesem Boot fahren wollten, mietete ich alle anderen Plätze für mich – nur um mit Ihnen allein diese Fahrt zu machen. Böse? O bitte, gönnen Sie einem reichen, aber einsamen Mann dieses harmlose Vergnügen …«
Birgit versuchte ein Lächeln, aber es wurde ihr unheimlich. Die Blicke Faruks waren zu eindeutig. Sie waren schmachtend und fordernd, gierig und wie vom Wahnsinn durchtränkt. Sie sah sich um, aber da war niemand mehr. Der Kapitän stand weit weg hinter dem Steuerrad, die drei Leibwächter waren unter Deck. Das Boot gehörte ihnen, oder vielmehr: Es gehörte ganz Faruk Ben Sahedi.
»Der Nil ist der schönste Fluß der Welt«, sagte Faruk und machte eine weite Handbewegung. »Ich kenne den Rhein … sehr romantisch. Den Amazonas … erschreckend urweltlich. Aber der Nil … das ist rinnendes Leben. Das ist Blut aus dem Herzen Afrikas. Das ist unvergleichlich. Und wie der Fluß, so sind auch seine Menschen. Sie lieben wie der Urschoß der Natur.«
Er redete noch eine Weile und beobachtete Birgit dabei. Er sah, wie ihr Kopf etwas vorsank, wie sie die Augen schloß, wie eine tiefe Müdigkeit sie überfiel.
Was ist das? dachte sie und riß den Kopf hoch. Diese Hitze macht mich völlig bewegungsunfähig, es ist wie eine Lähmung in mir, ich sehe das Wasser des Nils mal neben mir, mal oben am Himmel; es ist verrückt, aber der Himmel schwimmt unter mir, und ich bin wie ein Vogel, der einen Looping fliegt.
Dann schlief sie ein. Faruk Ben Sahedi rief seine drei Leibwächter. Sie trugen Birgit unter Deck, und das Boot drehte auf dem Nil und fuhr zurück Richtung Kairo, aber dem anderen Ufer entgegen.
*
Es war später Abend, als Birgit die Augen aufschlug. Sie lag auf einem breiten Diwan inmitten eines Berges seidener Kissen. Über ihr drehten sich drei große Ventilatoren und gaben angenehm kühle Luft. Das Zimmer war riesengroß, mit Teppichen belegt, die Fenster waren von weißen Säulen eingerahmt, zwischen denen sich ein Gitterwerk aus vergoldetem Eisen rankte. Die Wände waren mit Malereien auf Seide behangen, die Decke war gekachelt mit Kacheln aus Gold und Kobalt. Ein Zimmer aus dem Traumbuch, ein Wunder an Schönheit und Kostbarkeit.
Birgit sprang auf und rannte zum nächsten Fenster. Vor ihr lag ein Innenhof mit Springbrunnen aus Marmor und einer Galerie von orientalischen Säulen. Drei Frauen saßen um den Brunnen und schwatzten. Im Hintergrund lehnte eine stumme, starre Gestalt im weißen Burnus. Ein Wächter.
Birgit rüttelte an den Gittern. Sie waren fest in die Säulen eingelassen und bewegten sich nicht. Da schrie sie, und ihre Stimme hallte durch die stillen, weiten Räume und wurde zehnfach zurückgeworfen.
»Hilfe! Hilfe! Hilfe!«
Eine Tür im Hintergrund des Zimmers öffnete sich. Sie hatte sie nicht gesehen vor lauter Ornamenten und Verzierungen. Faruk Ben Sahedi trat ein. Er hatte seine europäische Kleidung abgelegt und trug jetzt eine Art Haik aus Seide, der seine dicke Figur noch unförmiger wirken ließ.
»Bitte nicht schreien, gnädige Frau«, sagte er und blieb wie unterwürfig an der Tür stehen. »In meinem Haus hört man nur, was ich zu hören erlaube. Und das Wort Hilfe
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