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Nächte am Nil

Nächte am Nil

Titel: Nächte am Nil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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morgen nachmittag einen Brennversuch des neuen Treibsatzes angesagt. Bis dahin wird keiner unser Wegsein bemerken. Und wenn sie es dann erkennen, haben wir schon eine große Wegstrecke zurückgelegt. Zunächst wird man kopflos sein, dann wird man die Oase abriegeln, wird jedes Haus einzeln durchsuchen, jeden Stall, jedes Loch – und erst dann wird man glauben, daß wir nicht mehr in Bir Assi sind. Ein Gedanke, den keiner begreifen wird, weil er zu utopisch ist.«
    »Und dann werden sie mit Hubschraubern die Wüste in allen Richtungen abfliegen und uns entdecken. Fünf winzige Punkte auf einer gelbsandigen Scheibe.« Lore warf den Kopf in den Nacken. »Und man wird uns abschießen wie Pappkameraden auf dem Schießstand.«
    »Haben Sie Angst?« fragte Aisha aggressiv, ehe Brockmann etwas entgegnen konnte. »Dann bleiben Sie doch hier.«
    »Aisha!« mahnte Brockmann.
    Lores Kopf drehte sich zu ihm. »Ja, ich habe Angst«, sagte sie laut. »Nicht um mein bißchen Leben, was ist das schon wert? Ich habe Angst um dich, Alf. Es mag andere geben, die das Abenteuer lieben, ich aber liebe dich.«
    Brockmann senkte den Kopf. Er war plötzlich verlegen und doch glücklich zugleich.
    »Das ist das erste Mal, daß du es sagst«, bemerkte er leise in die Stille hinein.
    »Ich glaube, es ist auch die richtige Stunde dazu.« Lore sah in die Richtung, in der sie Aisha vermutete. Sie hörte ihr Atmen und empfand ihre Nähe auf der Haut wie einen klebrigen Wind. »Ich liebe Alf!« sagte sie fest. »Und ich lasse nicht zu, daß er ein Risiko eingeht, das ihn das Leben kostet.« Und plötzlich, wie ein Vulkanausbruch, wild und ungehemmt, rief sie zu Aisha: »Ich habe meine Augen für ihn gegeben – und was kannst du ihm geben? Deinen Körper, weiter nichts! Aber auch der wird verwelken, und schneller als bei uns europäischen Frauen.«
    Aisha schnellte aus dem Sessel hoch wie eine aufgescheuchte Katze. Ihre schwarzen Augen glühten. Wie schön, wie herrlich, wie unbeschreiblich, dachte Ludwigs. Verdammt, man kann verstehen, daß sich Männer einer Frau wegen ruinieren.
    »Wenn Oulf hierbleibt, dann wird man ihn töten«, zischte Aisha. »Das Sprengstoffpäckchen war nicht das letzte. Es gibt noch andere Mittel.«
    Das stimmt, dachte Ludwigs. Du mußt es am besten wissen. Du hast das Päckchen ins Haus gelegt. Daß dieses Mädchen blind ist, ist dein Werk.
    Er biß sich auf die Lippen, um sich nicht zu verraten. Brockmann war hinter die erregte und bebende Lore getreten und streichelte ihr beruhigend über die Haare und Schultern. Aisha lehnte am Geländer der Terrasse; eine kleine, zierliche, mit allen Poren vibrierende Wildkatze. Durch den wirren Vorhang ihrer schwarzen, langen Haare starrte sie zu Brockmann hin.
    »Wenn die Dunkelheit kommt, reiten wir los«, sagte er. Dabei sah er Aisha verzeihend an. Sie ist blind, hieß dieser Blick. Blinde sind besonders zartfühlend und erregbar. Die ewige Dunkelheit, in der sie leben, macht sie mißtrauisch und ungerecht.
    Aisha warf den Kopf herum und verließ die Terrasse. Er liebt sie auch. Er nimmt sie in Schutz. Sie darf mich beleidigen. Ich bin ja nur ein Wüstenkind, ein dreckiger Mischling, ein Fellachenmädchen, dessen Zöpfe man früher mit Kamelmist einrieb, damit sie schön steif blieben. Oh, wenn er wüßte, wer ich bin. Ich habe in Kairo die Oberschule besucht, ich habe vier Semester Philologie studiert, ich spreche vier Sprachen, ich kenne das Weltbild des Plato ebensogut wie die Philosophie eines Sartre oder Heidegger. Aber in seinen Augen bin ich die kleine, braune Sklavin, das käufliche Dirnchen, das er aus dem Offiziersclub weggeholt hat.
    O Allah, wann schenkst du mir die Stunde, ihm die Wahrheit zu sagen? Wann darf ich ihn lieben? Wann darf ich Aisha sein … so vollkommen in der Liebe wie die große Aisha, die Lieblingsfrau Mohammeds?
    Sie hörte im Zimmer, wie Brockmann sagte: »Gehen wir ans Packen. Vor allem meine Hausapotheke nehme ich mit, Ludwigs. Kommen Sie, wir wollen erst einmal alle Papiere verbrennen. Ich will den alten Alf Brockmann in Feuer aufgehen lassen.«
    Aisha rannte auf ihr Zimmer. Sie sah noch, wie Lore am Arm Brockmanns ins Haus kam. Sie weinte. Unter der Sonnenbrille her rannen ihre Tränen aus den toten Augen.
    Sie schämte sich.
    *
    Die Dunkelheit senkt sich über die Wüste nicht nach weggleitender Dämmerung wie in Europa. Vielmehr taucht die Sonne nach einem kurzen Zwielicht weg ins Nichts, als verschlucke die Wüste den Feuerball. Dann wölbt

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