Nächte am Nil
kam zurück.
»Es ist keiner da. Das Haus steht leer. Alle Türen …«
Über Bir Assi heulten wieder Alarmsirenen. Sämtliche Zufahrtswege wurden gesperrt, alle Kolonnen angehalten. Die Hubschrauber stiegen auf, die Kamelreiter durchkämmten im Galopp die Beduinenpisten. General Assban landete am Abend in Bir Assi, rannte durch das leere Haus und brüllte, brüllte.
»Sie können nicht weg sein!« schrie er den Truppenkommandanten von Bir Assi an. »Wohin denn, bei Allah? Kann jemand vom Mond fliehen? Nein! Und von Bir Assi auch nicht, denn hier ist der Mond! Man muß sie also verschleppt haben, innerhalb der Oase!« Assban holte tief Luft. »Und wenn ich die ganze Oase umgraben lasse – ich finde sie!«
Um diese Zeit zogen die fünf Kamele hintereinander her, im sogenannten Gänsemarsch, durch den tiefen Sand. Alf ritt jetzt an der Spitze, Aisha hinter Lore als letzte. Zwischen ihnen trabten die beiden dunkleren Lastkamele mit den Wasservorräten und der Verpflegung.
An einem Seil schleifte das letzte Kamel einen mit festgebundenen Steinen beschwerten alten Teppich hinter sich her. Er verwischte die Hufspuren und hinterließ nur einen Streifen im Sand. Dieser aber, flach und breit, wurde innerhalb einer Stunde zugeweht.
Fünf Kamele und drei Menschen verschwanden im Nichts.
Während in Bir Assi die Durchkämmung jedes Hauses, jeder Hütte, jedes Stalles begann, hockte der Soldat Hassan Ben Alkir in dem Versteck Aishas und vernichtete die Sendeanlage. Er vergrub sie hinter dem Stall im Sand und beendete damit seine Tätigkeit für die ›Zentrale‹.
Hassan hatte sich von der allgemeinen Aufregung nicht anstecken lassen. Er dachte nüchtern, als er erfuhr, was der Großalarm bedeutete.
Sie ist mit dem Weißen weggezogen, dachte er. Sie hat mich betrogen. Sie hat mir Liebe versprochen und mich verraten, wie sie alle verraten hat, dieses Deutschen wegen.
Hassan brauchte keine langen Überlegungen. Er kannte Aisha. Er ahnte, daß sie einen Weg genommen hatte, den ein vernünftiger Mensch nie in Erwägung ziehen würde, weil er geradewegs in die Hölle führte. Aber Aisha würde ihn gehen … oh, sie kannten ja alle Aisha nicht.
An diesem Abend desertierte der ägyptische Soldat Hassan Ben Alkir. Er beschaffte sich Beduinenkleidung, kaufte sich von seinem Agentenlohn ein schnelles Kamel und ritt allein, mit einem Beutel voll Essen, aber hochbepackt mit Wassersäcken, in die Wüste. Nach Westen. In das Unendliche. In die Sahara, die Schweigende, wie sie der Araber nennt.
Ich jage ihn, diesen Weißen, dachte Hassan und streichelte liebevoll den rauhen Hals seines Kamels. Ich jage ihm Aisha ab … und vor ihren Augen werde ich ihn abstechen wie den Festhammel am Ende des Fastenmonats Ramadan …
*
Der ›Stoßtrupp‹ Hauptmann Brahms' unter Führung des Oberfeldwebels Franz landete in der Nacht mit zwei flachen Booten am Nilufer, etwas unterhalb der Anlegestelle der Fähre zwischen Abu el Namrus und El Ma'adi. Es waren zwei schnelle Boote mit starken Motoren, wie sie von den Pionieren benutzt wurden, um im Kriegsfall auch unter großem Beschuß Flüsse zu überqueren.
Hauptmann Brahms war mitgekommen. Auch der riesige Nubier Baraf war dabei. Er war der lebende Rammbock. Wo gab es eine Tür, die er nicht mit der Wucht seines Körpers aufsprengen konnte? Wo gab es einen Menschen, dem nicht sofort der Mut aus allen Adern wich, wenn er Baraf gegenüberstand?
Es war eine stille Nacht. Zwei Uhr. Das Ufer war leer, auf den Kähnen und Fähren schliefen die Araber, ahnungslos, was sich wenige Meter weiter von ihnen abspielen würde. Einige Positionslampen schaukelten im Nachtwind. Aus der Wüste tönte das Heulen der Hyänen. Es gehörte zur Nacht wie der Sternenhimmel.
Oberfeldwebel Franz überprüfte noch einmal die Ausrüstung, bevor sein Boot auf den flachen Sandstrand knirschte. Der Stoßtrupp bestand aus sieben Mann. Sie hatten die Gesichter mit Ruß geschwärzt und trugen neutrale Kleidung. Eine Khakihose, ein dunkles Hemd, weiter nichts. Um den Kopf hatten sie braune Tücher gebunden, nach Beduinenart. Niemand hätte sagen können, woher sie kamen, wie sie aussahen, welche besonderen Merkmale sie hatten. Es waren Menschen – weiter nichts. Menschen mit rußigen Gesichtern.
»Alles klar, Herr Hauptmann!« meldete Franz völlig unmilitärisch. Auch das zweite Boot lief im Ufersand auf. Geduckte Gestalten glitten in der fahlen Dunkelheit an Land. Nur Baraf blieb stehen. Er wartete auf seinen
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