Naechte am Rande der inneren Stadt
Denn mein Körper ist haltlos ohne dich, und ich will meinen Körper wiederhaben. Dies ist der
Angelhaken für Fremde, für bedeutungslose Annäherung, ich weiß, die anderen sehen das, sie sehen es in meinen Augen, dunkle
Schächte direkt in mein Herz, und gleich wieder raus, denn mein Herz hält keinen Fremden, nur dich. Und dich hasse ich auch,
Jackson, schreie ich hinterher, denn wärst du geblieben, wär das alles nicht!
|264| Nachts allein durch die Straßen laufen, Lichter sehen, Gesichter, und Staub trinken. Ich sehne mich nach der Einsamkeit, die
keine Richtung hat, in der ich nicht einmal daran denke, aufgefangen zu werden, nichts ist grausamer als dieses Nichtgehalten-Werden
vom geliebten Menschen, nichts. Muss ich immer nur Stärke zeigen? Ich sehne mich nach der Süße der Ungebundenheit, doch sie
kommt nicht über mich. Ich ertrinke an mir selbst. Ich ruf ihn nie mehr an.
Ich lauere im Hof und sehe nach oben. Ich sehe ihn durch die Mauer hindurch seine Liebe einer anderen geben. Sie einatmen.
Ich kenne sein verfluchtes Talent, heimliche Räume zu schaffen, mitten auf einem Fest, ich kenne sein Talent, dir das Gefühl
zu geben, du bist allein mit ihm auf der Welt. Ich stehe im Hof und mein Herz kotzt alles aus, was es von ihm bekommen hat.
Mein Herz stößt es aus wie einen Fremdkörper, den der Körper nicht annimmt. Der Fremdkörper, halb schon ins Fleisch gewachsen,
reißt Fasern mit sich. Ich jaule ohne einen Ton.
Ich weiß nicht, wie wir dann wieder zusammenkommen. Die Anziehung ist übermächtig. Ich müsste mich zurückziehen, aber ich
kann es nicht. Wir sind einander ausgeliefert. Er war schockiert, als er das rot-schwarze Gekrakel an meiner Wand sah; er
fing an zu weinen.
Er kommt, wir liegen Arm in Arm, der Mond hängt wie eine besoffene Pflaume über den Dächern, wir können ihn sehen, er ist
knallgelb und hat viele Löcher, ich fühle mich durchlöchert von Schüssen und fließe dahin, verletzt und verausgabt –
Robert spricht leise in mein Ohr. Er küsst es. Ich lache. Ich lächle. Er spricht von seiner Liebe. Er ist so schön, es zerreißt
mich.
Er sagt, er habe viele Gedichte geschrieben, in den letzten Tagen.
Darf ich sie lesen? frage ich.
|265| Bald, sagt er. Und spricht weiter in mein Ohr, während seine zarten Finger in mein Inneres wandern.
Sie helfen mir, sagt er, eine Freiheit wiederzufinden, die ich in meiner Leidenschaft zu dir verliere. Ich fühle mich sicher
in der Poesie. Ich brauche die Abwesenheit, damit meine Vorstellungskraft Nahrung hat.
Ich muss kichern, beim Wort Nahrung, aber ich verkneife es mir. Ich weiß ja, dass er mir etwas sehr Wichtiges von sich sagt,
und ich habe es mir die ganze Zeit gewünscht.
Ich muss frei sein von meinen Gefühlen, sagt er, die mich anderen und den Gefühlen selbst unterwerfen.
Ich zucke ein bisschen mit dem Körper, er lässt mich aber nicht einen Millimeter los.
Freiheit von denen, die ich begehre.
Ich versuche, seine Hand fortzuschieben. Er insistiert.
Ich liebe dich, sagt er und küsst mich sehr.
In die Zeilen gebannt, sagt er, leben sie für mich allein. Wie sie ihrer Wege ziehen, spielt keine Rolle, Hauptsache, sie
kreuzten meinen Weg.
(Jetzt meint er hoffentlich die anderen
.
) Ich spüre eine leichte Verkrampfung da, wo ich besonders weich bin.
Daher wird bleiben, sagt er – und ich halte die Luft an – die Sehnsucht nach den anderen Frauen, den verflossenen, den fernen.
Jetzt schlage ich ihn fort. Mit den Fäusten trommle ich, mit der flachen Hand schlage ich zu. Er tut nichts. Der dicke Mond
grollt.
Wie kannst du so etwas sagen? frage ich heiser in diesen gelben Lichtstrahl hinein, der in mein dunkles Zimmer fällt.
Ich verstehe dich, sagt er, ich kenne dich besser, als du denkst. Ich liebe dich, sagt er, sonst würde ich mich dir nicht
anvertrauen! Ich will, dass du mich kennst! Es droht keine Gefahr, sagt er beschwörend, ich liebe dich bis zum Wahnsinn, ich
will, dass du alles von mir weißt.
Ich habe ein
déjà-vu.
|266| Er streichelt mich so zart, wie nur er es kann.
Nur so kann ich ein Dichter werden, sagt er. Ich brauche die Imagination.
Mich macht die Imagination verrückt, flüstere ich, und ich wäre lieber kein Dichter, aber dafür ein glücklicher Mensch!
Er küsst meine Tränen, meine Lippen. Er nimmt mich zurück in seinen Arm. Ich sträube mich, aber er bittet mich. Und bald höre
ich die Vögel wieder weiß singen. Mitten in meiner
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