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Naechte am Rande der inneren Stadt

Titel: Naechte am Rande der inneren Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Langer
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    Ich bin fortgerannt, ich hielt es nicht aus, ihm das Gesicht zu zeigen, das ich mit Wucht kommen fühlte. Diese entsetzlichen
     Abende und Nächte, die ich verbringen werde mit dem Wissen, dass er lieber ohne mich ist!
    Wenn du an mir zweifelst, hat er gesagt, zweifelst du in Wirklichkeit an dir!
    Ist das wahr? Zweifle ich? Weil ich so wenig von ihm weiß? Weil er sich immer weiter entzieht? Den Wissenden, Großmütigen
     und Weisen mimt? Er macht mich wahnsinnig!
    Ich habe ihm meine Angst gesagt, die kommt, wenn ich mich allein gelassen fühle, ich habe ihm meine Neigung gesagt, sie auszugleichen,
     mit fremder Liebe, ja, ich habe ihm meine Abhängigkeit gesagt, meine Fantasien, alles! Ich war am Anfang viel zurückhaltender
     als er, wollte meinen eigenen Dingen nachgehen, arbeiten, und er kam und kam und ließ mich keine Sekunde mehr in Ruhe – und
     jetzt? Ich möchte schreien: warum willst du nicht bei mir sein? Was ist an mir so schrecklich?
    Ich bin zu Farben-Röhrich gerannt und habe zwei Flaschen Acrylfarbe gekauft, rot und schwarz, habe das Wort an meine Flurwand
     geklatscht, gespritzt, geschleudert, schreiend, trampelnd, tobend. Jetzt prangt es da und glotzt mich an:
     
    ALLEIN
     
    damit es in mein Kinderhirn hineingeht, DASS DAS DAS LEBEN IST!
     
    |262| Wie ich das hasse!
    Ich muss so gegen mich selbst. Ich sehe mich mit aufgerissenen Augen, ich buchstabiere alle unsere Nächte des Glücks, der
     Zärtlichkeit, der Nähe, und ich begreife nicht, warum das nicht mehr gut sein soll!
    Ich muss mir ein stählernes Gehäuse umlegen!
    Plötzlich denke ich an Konrad. Konrad auf meinem Küchenboden. Ich bin Konrad. Konrad auf meinem blauen Linoleum! Verflucht,
     und ich habe ihn fortgestoßen! Und jetzt bin ich schrecklicher als Konrad! Ich hasse mich selbst dafür, aber ich habe Robert
     einen Brief geschrieben, in rotem Lippenstift: Ich blute wie ein Schwein!
Take that! That ś me!
     
    Ich will nicht fortlaufen! Ich will nicht.
     
    Nora hat mich eingesammelt. Sie kam, holte mich ab, hat mich gewiegt wie ein Baby.
    Komm, hat sie gesagt, es gibt doch andre. Warum suchst du alle Fehler bei dir?
    Ich habe keine Macht gegen dieses Gefühl der Verlassenheit, sage ich.
    Und ich erzähle Nora zum ersten Mal von meiner Mutter, der Waldläuferin. Die immer spazieren ging, die für Stunden und Tage
     fortblieb und eines Tages nicht zurückkam. Die ich über alles liebte. Ihre hellen unruhigen Augen, ihre Zuneigung zu den Regentropfen,
     die am Fenster Muster bildeten, zu den Vögeln, die sie an ihren Stimmen erkannte; ihre seltsamen Geschichten, die sie Anka
     und mir erzählte, ihr schmutzigblondes Haar, mit dem sie über mein Gesicht strich, wenn sie beim Gute-Nacht-Sagen den Kopf
     zu mir hinabbeugte. Ich weinte und weinte.
    Du darfst dich nicht von ihm bestimmen lassen, sagt Nora.
    Es ist so überwältigend, sage ich, wenn wir uns nah sind.
    Ich sage die Wahrheit, ich kann nicht anders.
     
    |263| Ich raffe mich auf. Reiß mich zusammen. Gehe mit Heumann zu Hölts Ausstellung, er hat einen neuen Galeristen. Unmengen Menschen
     stehen und trinken und bewundern die großen Bilder. Hölt gibt sich die Kante und pöbelt herum. Ach Theo, ich fühle mich hässlich
     und unnütz. Alle machen etwas, schaffen etwas, nur ich versinke in meinen Gefühlen. Ich hasse euch, ihr Produktiven. Wie ihr
     da steht und –
    Heumann, hilf mir, dachte ich, aber ich sagte nichts. Es war wie früher, nur ich stand die ganze Zeit neben mir. Theo küsste
     mich, spät am Abend, drängte meine Lippen auseinander, ich ließ es geschehen, nur ich empfand nichts.
     
    Der endlose Sommer erdrückt die Stadt mit seiner Schwüle. Ich gehe schwimmen, ich schwimme bis zur Erschöpfung, im Halensee,
     im Schlachtensee, im Schwimmbad am Olympiastadion, am Heidelberger Platz, im türkisen Wasser, im dunkelgrünen Wasser. Schilf,
     Gräser, Bäume. Licht. Ich bekomme Briefe an
Milena
und schicke sie zurück. Ich werfe sie nicht in seinen Postkasten. Ich klebe eine Briefmarke auf seinen Brief und schreibe:
Empfänger unbekannt
neben das Wort
Milena.
    Ich spreche laut vor mich hin, dass ich von ihm lassen muss. Dass er Kunst und Leben verwechselt. Dass er Menschen formen
     will, nicht Worte. Dass er mich formen will. Ich aber, so sage ich laut vor mich hin, will mich nicht formen lassen.
    Und dann klebe ich an meiner eigenen Wohnungstür und höre auf seinen Schritt im Treppenhaus und bete: Forme mich, forme mich,
     liebe mich so wie am Anfang.

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