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Naechte am Rande der inneren Stadt

Titel: Naechte am Rande der inneren Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Langer
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Frau vorstellen, sage ich. Aber |269| ich dachte, in Pornofilmen werden die Geschlechtsorgane immer als Ausschnitt gezeigt, sozusagen nackig.
    Einerseits, andererseits, redet er weiter, wenn du so nah drangehst, verlierst du dich, du wirst – im Gefühl jedenfalls –
     wie das Baby an der Haut der Mutter – die einen finden das schön, schließen die Augen. Andere finden das erschreckend. Sie
     fühlen sich ausgeliefert. Sie erzählen dir dann natürlich irgendeinen biologischen
bull shit
, nach dem Motto, Männer sind so, das ist Natur und so weiter. Trotzdem gibt es das alles, den Sex ohne Liebe etc. Aber mich
     interessiert dieser Aspekt: dass die Kontrolle geil macht.
    In der Liebe kotzt mich Kontrolle an. Du wirst dabei steif wie ein preußischer Offizier. Ein Laken im Wind peitscht wieder
     und wieder gegen die Wand. Ein Geräusch zum Wahnsinnigwerden
.
    Mitten im Gespräch habe ich eine akustische Halluzination, ich höre diese Sätze und dieses Geräusch,
klatsch, klatsch
. Habe ich Heumann gerade eben gefragt? Ob er im Pornokino war, ob er da hingeht? Er erzählt jedenfalls davon, ich muss einen
     Filmriss gehabt haben, gerade eben, er redet von den Kabinen in den Sexshops, in denen Pornos auf einem fernsehgroßen Bildschirm
     ablaufen und in denen
mann
allein sitzt, jeder für sich, und sich einen runterholt. Es gibt Löcher, für den Nachbarn, zum Gucken und zum Anfassen. Zum
     gegenseitigen Einen-Runterholen. Daneben liegt eine Küchenrolle. Zum Abwischen.
    Manche kleben damit das Loch zu, sagt Heumann.
    Ich starre ihn an.
    Sie kleben das Loch zu?
    Ich muss lachen. Ich kann nicht anders.
    Was hast du?
    Ich glaube, ich hab da irgendwas falsch verstanden, sage ich. Dieses ganze Ding mit der Liebe. Mit dem Sex. Da soll gar keine
     Nähe sein, was?
     
    |270| Ich sehe einen Film mit Heumann, in dem Valie Export vor einem Bild mit zwei Kindern sitzt und sich mit einem Teppichmesser
     unter die Fingernägel schneidet. Zehn Minuten lang. Das Blut lässt sie in eine Schüssel mit Milch tropfen. Heumann verlässt
     den Saal, ich bleibe. Ich sehe mir das an. Ich will alles wissen, ich sehe nicht weg. Ich will wissen, wer ich bin.
     
    Muss ich mir eingestehen, Lust an diesem Terror zu empfinden? Warum lasse ich mich wieder auf Robert ein? Ich gefiel mir als
     die, die Jackson liebte. Warum? Ich hatte keine Angst vor ihm. Ich war nur traurig, als er weg war. Die, die ich mit Robert
     wurde, gefällt mir nicht, dieses zitternde, auf ihn wartende Häufchen Elend, das ununterbrochen nachdenken muss. Liebe muss
     da sein oder –
     
    Bull shit
. Ich muss mich neu erfinden. Sonst gehe ich unter.
    Er ist mein Härtefall. An ihm lerne ich meine Grenzen kennen, mich. Er verlangt keine brutalen Sexualpraktiken von mir, er
     will mir nicht ins Gesicht pinkeln. Seine Grausamkeiten kommen aus Wankelmut oder Herrschsucht. Er
täuscht an
, wie das beim Sport heißt. Er hat zwei Gesichter. Mir wird plötzlich klar, wie wenig ich diese beiden Gesichter zusammendenken
     kann, oder besser noch
zusammenfühlen
. Solange ich sie nicht zusammendenken kann, bin ich ihnen ausgeliefert. Werde überrumpelt und in Schach gehalten.
    Ich will das Leben und ich will diese Liebe bis zum allerletzten Tropfen. Ich will sehen, ob ich es liebe, gedemütigt zu werden,
     ich will kalt werden und den
Überblick
kriegen und sehen, ob ich dann noch ich selber bin.
     
    Wenn ich durchhalte, ruft er an. Wenn ich mich unabhängig zeige, verführt er mich. Das meint Heumann mit Banalität. Er will
     mich erobern. Es gelingt ihm nicht immer. Das macht ihn heiß. Nur: Ich verliere langsam das Interesse.
    Manchmal denke ich: Vertrauen bestünde darin, zu wissen, |271| dass die Verführung sich immer wieder ereignet. Aber was dann? Worum geht es?
    Er kommt, er küsst mir Hals und Nacken, während ich ihm erzähle, was ich alles so getan habe, in einer Woche ohne ihn. Er
     zieht mich langsam zum Bett und aus.
    Es war schön, wieder Liebe zu machen, und die ganze Nacht schliefen wir dicht beieinander, hielten uns im Arm und an den Händen,
     träumten voneinander und liebten uns am Morgen erneut. Ich finde sein Gesicht noch immer so schön; es bewegt mich zutiefst
     und unerklärlich. Er hat einen angespannten Mund, und seine Bewegungen hatten etwas Ruckartiges, bis er sich löste. Seine
     Wimpern, Dächer über seinen Augen, die Lippen verletzlich geschwungen. Wehmut und Zorn.
    Die Sonne fiel in sein Küchenfenster, die Kühle des beginnenden Herbsttages war

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