Naechte am Rande der inneren Stadt
trotzdem zu spüren. Er sprach darüber, dass
ihn alles traurig mache, dass er nicht mehr so ins Blaue leben könne wie früher, dass er Ziele setzen und darauf zuarbeiten
müsse. Dass unsere Liebe ein weiterer Baustein in dieser Zementierung des Lebens sei und ihn deshalb so verrückt mache, obwohl
die Liebe als solche so bewegt sei.
Fängst du schon wieder an? fragte ich. Ich bin es leid, wie du unser Zusammensein zerredest, kaum dass wir eine schöne Nacht
miteinander verbracht haben.
Ich sage dir nur, was ich denke, sagte er und trank in winzigen Schlucken seinen Tee. Aus einem kleinen Becher ohne Henkel,
den ich nie anfassen kann, weil er so heiß ist. Mich nervten seine winzigen Schlucke, das Geräusch. Ich wollte die Nacht nachklingen
lassen. Ich wurde wütend, sagte aber sanft:
Es ist doch gut, wenn wir dieses Gefühl teilen können. Wenn wir gemeinsam eine offene Zukunft betreten.
(Du wirst dich wundern.)
Wir lernen uns kennen, sagte er und sah mich aus ganz offenen Augen an, das ist die einzige Chance. Ich liebe dich mehr als
am Anfang, weil ich dich besser kenne.
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(Schön, schön, schön.)
Ich hatte immer solche Sehnsucht nach deiner Nähe, sagte er.
Ich spürte, wie ich schon wieder ins Wanken geriet. Vielleicht tat ich ihm wirklich unrecht? Vielleicht fühlte er nur so zart,
wie er aussah, und hatte gar keine Machtspiele im Sinn? Andererseits:
hatte
? Wieso sagte er:
hatte?
Er erzählte mir von der Tochter seines Patenonkels, die er als Junge einmal die halbe Nacht geküsst hatte, und die dann am
nächsten Tag mit seinem Bruder ins Bett gegangen war.
Ich habe immer Angst, dass er kommt und dich mir wegnimmt, sagte er.
So ein Quatsch, sagte ich, ich kenne ihn doch kaum.
(Du konstruierst hier doch irgendeinen Scheiß.)
Ich bin träge, sagte er, du kannst mich dafür verdammen, aber ich bleibe nicht aus Trägheit bei dir.
Er schmiegte sich an mich.
Du warst nie treu, sagte er, ich habe Angst vor deiner Sprunghaftigkeit.
Ich springe nur in dir herum, sagte ich.
(Blöder Witz.)
Ich brauche immer ganz lange für alle Entscheidungen, sagte er, dann sind sie tief und dauerhaft. Ich liebe Details.
Du meinst wohl Zerstückelung.
Man muss sich ja nur mal seine Wohnung ansehen. Er ist perfektionistisch bis zum Anschlag. Sein ganzer Buddhismus ist doch
wohl nur die Liebe zu den schönen fremden Dingen. Deko. Obwohl ich meine Wohnung einigermaßen klar halte, brauche ich es manchmal,
alles liegen zu lassen, alles herumzuwerfen, so wie ich es brauche, mich nicht zu waschen, keinen Wecker zu stellen und und
und –
Ich sage ihm nicht, worum meine Gedanken kreisen. Ich sage ihm nicht, was ich von ihm denke. Ich sage nichts mehr.
|273| 15 (Ensemble: Nach einem Moment der Liebe)
1988
Robert ist wie ausgewechselt. Seit wir zu Silvester in Prag waren, leben wir vertraulich miteinander, sehen uns oft. An Kafkas
Grab gab es eine wüste Szene, weil ich einen dämlichen Witz landete, er riss mich an den Haaren, ich hatte Angst vor ihm,
doch jetzt schläft mein Misstrauen wieder ein. Gestern brachte er eine Biografie über Majakowskij und schrieb
für uns beide
hinein. Wir laufen Hand in Hand, Gesicht an Gesicht. Beim Essen im indischen Imbiss sagt er: Wie schön wird es sein, wenn
du schwanger bist!
Ich fiel fast vom Stuhl.
Nee, nee, sage ich.
Manchmal fühle ich mich so sonderbar, als ob mein Körper
ich
wäre, auf eine verrückte Art, als ob mein Körper mir Einheit gibt, Identität. Wir schlafen miteinander, als lägen wir voreinander
auf der Lauer, ich gebe nicht nach, er sieht mich an, über mir aufgerichtet, wiederholt sein Eindringen ganz langsam und sanft,
und ich komme ganz langsam und kann ihn ansehen, während er kommt. Wir werden beide verrückt, wenn wir mit den Fingern gegenseitig
ineinander eindringen, es scheint auch ihm allergrößte Lust zu bereiten. Ich bin oft völlig entspannt, ich tropfe, der kleine
Ring dehnt sich, ich kriege so ein sausendes Gefühl – ich liege danach oft auf seinem Bauch, mit meinem Rücken, und seine
immer so angenehm trockenen Hände streicheln mich sanft. Wenn er mich mit dem Mund liebt, ist es so, als würde ich mit ihm
in mich selbst hineinschwimmen. Ich bin nur mit diesem Körperempfinden beschäftigt, es verändert mich vollkommen.
Und es ist manchmal so, wie ich es mir gewünscht hatte, wir |274| können über vieles sprechen und das Körperliche geht zusammen mit einer anderen Nähe.
Er hat seine
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