Naechte am Rande der inneren Stadt
Hingabe hasse ich mich.
Ich halte es ja gar nicht aus, wenn er mir die Wahrheit von sich sagt!
Liebes Kind, sagt Heumann zu mir, als ich ganz abstrakt auf die künstlerische Produktion zu sprechen komme, um ihm die Sache
mit Robert zu schildern, das Muster, von dem du sprichst, mag für den einen oder anderen Künstler oder Dichter gelten, es
klingt mir aber in seiner Banalität nach einem typisch männlichen Klischee.
Ich schlucke. Jetzt redet er schon wie Nora.
Wieso wissen alle um mich herum Bescheid, nur ich nicht?
Weil jeder seine eigenen Erfahrungen machen muss, sagt Heumann.
Jetzt würde ich dir gern eine schallern, sage ich.
Tu’s doch, sagt er und sieht mich sonderbar an.
Nein, nein, sage ich, du nicht, du nicht! Ich habe genug mit dem einen zu tun!
Er lacht und schüttelt den Kopf. Seine Haut wird fleckig rot.
Er ist ja auch viel zu alt, denke ich noch. Irgendwann frage ich ihn, ob er drin war, im Pornoladen.
|267| 14 (Ensemble: Zerstörung & Intimität)
Zerstören ist der Trost für eine Verzweiflung.
Ich sage Robert, dass
ich
ihn eine Woche lang nicht sehen möchte. Ich kreuze unseren Hof wie eine Spionin, um ihm nicht zu begegnen. Ich gehe jeden
Tag schwimmen und lasse mich in der Sonne trocknen und ich fahre in die Bibliothek und verabrede mich für jeden Abend. Zum
Glück habe ich im Winter so viel gearbeitet; ich wäre sonst arg im Hintertreffen. Nach einer Woche sehe ich erholt aus und
leicht gebräunt. Ich habe einiges geschafft. Wir treffen uns wie verabredet und führen ein langes Gespräch. Robert sieht blass
aus und schön; er hat dieses Durchsichtige und Zarte, das ich ganz besonders an ihm liebe. Sein Haar ist ultrakurz, auf dem
Hinterkopf ist ein Blitz ausrasiert.
Er legt mir die Briefe auf den Tisch, die ich ihm zurückgeschickt habe.
Ich habe dich so genannt, weil Kafka mein größtes Vorbild ist und weil er sie schrecklich geliebt hat.
Aber es ist nichts geworden mit den beiden, sage ich.
Sag niemals mehr, ich soll mich öffnen, wenn du es nicht tust. Dies ist die Regel des Spiels, das keines ist.
Ich werde dich in die Knie zwingen wie du mich.
Dies ist mein letztes Angebot.
Oktober, neues Semester
Ich versuche, stark zu sein. Ich jammere nicht.
Cold cut, baby
. Kein Pollock mehr, Pollock bleibt für immer; ich beschäftige mich mit Künstlerinnen, Frauen, die
jetzt
leben. Frauen, die Kunst mit dem Körper machen. Carolee Schneemann, Valie Export, Kiki Smith. Ich sehe einen Film von einer
Performance
, |268| von 1973: Carolee Schneemann hängt nackt an einem Seil und zeichnet schwingend mit Kreide die Bewegungen ihres Schwingens
auf. Linien entstehen auf dem Boden. Körperschrift. Das ist Jackson Pollock mit anderen Mitteln. Ganz Hitze, ganz Körper.
Ich muss an meinen eigenen Traum denken, in dem ich aufgehängt bin an einer Eisenkette. In einem anderen Film nimmt Schneemann
sich selbst beim Sex mit ihrem Freund auf, mit einer Handkamera.
Das ist ein Antiporno, sagt Heumann, sie unterläuft das voyeuristische Prinzip, indem sie es durchsichtig macht. Das dient
keinem mehr als Wichsvorlage.
Der Film ist von 1966, das ist zwanzig Jahre her, ich staune, dass es da schon Thema war. Damals hatte sie etwas begriffen,
das ich mir mühsam aneignen muss. Müssen wir immer selber in die Scheiße rutschen?
Sie überlässt es nicht einem anderen, sie zu filmen, sie nimmt den Blick buchstäblich selbst in die Hand. Sie macht sich unabhängig
vom männlichen Blick, denke ich laut.
Nicht nur das, sagt Heumann.
Wir sitzen im »Sehn-Sucht«, einer runtergekommenen Kneipe mit ausrangierten Sesseln in SO 36; wir müssen schreien, weil die
Musik so laut ist. Es ist mir egal, ich habe schon drei Wodka hinter mir. Ich seh Heumann jetzt wieder öfter; wenn Robert
Wind davon kriegt, wird er toben.
Im Porno tust du so, als könntest du dich selbst ganz sehen, durch die Identifikation mit denen, die du siehst. Wenn du mit
jemandem schläfst, kannst du das nicht. Du siehst nie alles. Sehen aber ist Macht. Kontrolle. Das Ganze in den Blick zu kriegen,
schafft Distanz, du bekommst eine Art Überblick, denk mal an Spiegel, die über Betten hängen. Darin besteht eine Lust. Macht-Lust.
Nicht aber, wenn du ganz nah rangehst; wenn du einen Mund küsst, kannst du zwangsläufig nicht die ganze Frau sehen, wenn du
einen Körperteil liebkost – was glaubst du, warum wir beim Sex so oft die Augen schließen?
Wir können uns die ganze
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