Naechte am Rande der inneren Stadt
sagt
Leonhardt, ich bleibe die ganze Zeit hier.
So eine Scheiße. Ich soll jetzt nicht mehr Sehnsucht sagen.
Ich muss ihm unbedingt den Schlüssel wegnehmen. Ich brenne. Bilde ich es mir ein? Mir gehen die Bilder unserer Liebe wieder
und wieder durch den Sinn. Ich kann diesen Wechsel nicht fassen.
Ich denke nach. Seit ich mit Robert zusammen bin, habe ich Konrad gesehen, Nora, Heumann, Theo, Leonhardt und etliche andere.
Ich will keine neuen Männergeschichten; entweder diese hier wird, oder ich lasse es ganz.
Vielleicht ist er nur aus dem ersten großen Glück gefallen und findet sich jetzt nicht zurecht. Ich muss das Kindliche in
mir überwinden, vielleicht gelangen wir dann zu einer anderen Stufe des Paradieses. Ich will lernen, die Angst zu verlieren,
damit wir uns nicht verlieren. Wie schnell das Herz Hoffen schlägt. Keinen versteht man durch den Vergleich mit sich |259| selbst. Man darf die Änderung einer Herzensneigung nicht Unrecht nennen.
Schön gesprochen, Mädchen. Schöne Absichtserklärung. Aber.
Ich fühle mich nicht mehr aufgehoben. Da darf ich mir nichts vormachen. Das ist ein Verlust. Unsere Zivilisation fordert Einsamkeit.
Allein stark sein.
Individuum sein, auch wenn das Subjekt tot ist.
Ich bin tot.
Ich bin ein Individuum.
Ein Zettel unter der Tür: Besuch mich, es wird besser mit der Zeit.
Ich reagiere nicht. Mein Herz rast. Mein Kopf tut weh. Ich fresse Aspirin. Ich kann nichts lesen, nichts arbeiten. Ich kann
das Haus nicht verlassen. Ich hasse mich.
Er ruft an, ich gebe nach. Wir sehen uns.
Er sagt: Weißt du nicht, wie scheu ich bin? Und dann liebt er mich wild und ungezähmt. Seine Haut ist die ganze Zeit so angenehm
trocken, er kommt heftig, ich höre die Vögel weiß singen.
Ich laufe aus dem Haus, um einkaufen zu gehen, da kommt Robert mit einem Typen. Sie nicken mir beide komisch zu, ich laufe
vorbei, als wäre ich ein dummes Schulmädchen, dann sehe ich seinen heißen Blick und ich weiß, er kommt, er kommt zu mir, und
ich sehe, dass er erleichtert ist, und ich bin es auch, es ist, als würde eine böse Macht versuchen, uns auseinanderzuzerren,
wir müssen ihr widerstehen, dann wird alles wieder gut!
Und wie erfüllt sind unsere Küsse dann! Er sagt, lieb mich, so dreckig wie ich bin, und ich sage jaja, und ich liebe ihn,
so sehr ich kann.
|260| 13 (Ensemble: Isolation & Hitze) (oder: Staub trinken)
Der Geruch von Konrads frisch gewaschenen, gebügelten Seidenhemden steigt mir in die Nase und ich muss Tränen herunterkämpfen.
Wie unverstellt er doch war. Ich höre Schubert, den ganzen Tag. Ich heule hemmungslos. Der alles von mir wollte, hat mir einen
Satz gesagt. Es gibt keine Gründe, nein, in der Liebe soll man annehmen, was man nicht versteht. Es geht nicht um die Sache
– es geht um den Ton – feierlich – entschlossen –
Er will, obwohl er – sagt er – es zugleich nicht will –
allein sein
allein sein will, sich
frei
und neu auf mich zubewegen –
Ich bin vierundzwanzig Jahre alt. Wir sind zu alt, nach unserer Mutter zu schreien. Wir sind zu jung, uns selber zu halten.
Ich sehe sie, meine Abende allein in diesem schrecklichen, bitteren Sinn. Was nützt es, den Kopf gegen die Wand zu schlagen?
Sie mit den Fingernägeln zu kratzen? Was können Gedanken oder Schriften gegen das Zittern des Körpers, die Gewalttätigkeit,
die sich Luft machen muss? Was nützt es, den Blumen die Köpfe abzureißen, Bücher zu werfen, Tassen, Gläser, Scheren? Nein,
ich werde nicht so weit gehen, mir äußere Verletzungen beizufügen, um die inneren zu übertönen! Nein, nein, nein –
Früher konnte er keine Gelegenheit auslassen, bei mir vorbeizukommen. Früher: das ist nicht einmal zwei Jahreszeiten her!
Ich will allein sein – Ich will –
Ich zittre, die Härchen auf meiner Haut richten sich auf, mir ist schlecht, als hätte er mir in die Magengrube getreten. Was
reißt da auf? Ich will das nicht! Dass ein kleiner Satz die letzte Hülle fortfetzt und ich da liege und nichts mehr weiß? |261| Nur, dass ich mir als Liebende und Gebende und Verstehende offenbar ein Armutszeugnis ausstellen kann? Ich kann keinem sagen,
was in mir los ist, ich kann nur schreien.
Ich möchte ihm so gern alles
zugestehen
, wovon er spricht, was er Freiheit nennt, Beweglichkeit, weiß der Teufel – ABER ICH KANN ES NICHT!
Es soll nicht das Ende der Liebe sein, hat er gesagt und mich bitterernst angesehen, bleich, TODernst
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