Naechte der Leidenschaft
Verfolger ihr auf den Fersen waren. Emma schlang sich das Ende des Seils um den Arm, ergriff es mit beiden Händen, stieß sich vom Fenstersims ab und sprang.
15.
Emma fiel nicht sehr tief, doch sie erkannte ihren Fehler in dem Augenblick, als sich das Seil mit einem Ruck um den Arm festzog, um den sie es geschlungen hatte. Es war ein qualvoller Schmerz. Mit all ihrer Willenskraft gelang es ihr, einen Schrei zu unterdrücken und sich festzuhalten, als sie unterhalb des Fensters hin und her schwang. Sie konzentrierte sich auf die harte Mauer vor sich und zwang sich, die Pein in ihrem Arm zu ignorieren. Er fühlte sich an, als würde er verbrennen.
Sekundenlang hing sie da und wartete darauf, dass der Schmerz nachlassen würde. Nervös schaute sie zu den Wachen hinüber. Die Männer sprachen noch immer miteinander, aber Emma wusste, dass sie sich nicht darauf verlassen konnte, dass sie ihr Gespräch ewig fortsetzten.
Sie biss sich auf die Lippen, um das Wimmern aus Schmerz und Angst zurückzuhalten, das aus ihr herausdrängen wollte. Langsam und vorsichtig begann sie, sich eine Handbreit am Seil hinunterzulassen. Dann hielt sie inne, ehe sie noch eine Handbreit folgen ließ. Dann wieder. Und wieder. Immer eine Handbreit weiter in die Tiefe. Den größten Teil des Abstiegs bewältigte sie auf diese Weise, Zentimeter um schmerzhaften Zentimeter, und in jeder Sekunde darauf gefasst, den Warnruf der Wachen zu hören, dass sie zu fliehen versuchte. Emma war den halben Weg die Mauer herunter, als die Muskeln in ihren Armen und Schultern so sehr schmerzten, dass sie glaubte, sie schreien zu hören. Einen Moment lang hing sie reglos am Seil
und versuchte, sich zu beruhigen. Die Wachen hatten sie in der Dunkelheit noch immer nicht bemerkt.
Emma ließ sich wieder eine Handbreit am Strick herunter, langte hinunter, um den Abstieg fortzusetzen - und griff ins Leere. Sie hatte das Ende des Seils erreicht. Still verharrend, schaute sie in die Tiefe, blinzelte, als sie sich anstrengte, den Boden zu erkennen. Nach einem kurzen Augenblick sah sie ihn. Soweit sie es beurteilen konnte, hatte sie ein wenig mehr als zwei Drittel des Abstiegs geschafft. Das hieß, das noch ein gutes Stück nach unten zu überwinden blieb. Ohne Seil. Sie fühlte Panik in sich aufsteigen, gegen die sie entschlossen ankämpfte, indem sie ihre Möglichkeiten überdachte.
Die Wand wieder hinaufzuklettern und in ihr Gefängnis zurückzukehren, war die eine.
»Nicht ums Verrecken«, stieß Emma hervor.
In die Tiefe zu springen, war die andere Möglichkeit. Aber die Wahrscheinlichkeit, sich dabei die Beine zu brechen, war groß. Und mit gebrochenen Beinen zu fliehen, würde wohl ziemlich schwer sein.
Emma schaute wieder in die Tiefe. Dann glitt ihr Blick zum Burggraben. Sie könnte versuchen, bis dorthin zu springen. Bei dieser Überlegung rümpfte sie die Nase. Sie hatte den Graben schon riechen können, als sie kaum ein Viertel des Abstiegs hinter sich gebracht hatte. Und im Augenblick war der Geruch, den er ausströmte, nahezu unerträglich. In die Quelle dieses Duftes einzutauchen war nicht gerade die verlockendste Möglichkeit. Es sei denn, ich vergleiche es mit der, meinen Mann tot zu sehen, dachte Emma grimmig und spähte wieder nach unten. Sie würde schnell sein müssen. Ihr Aufklatschen im Wasser würde man zweifellos hören. Zumindest würde es ausreichen, die Wachen zu veranlassen, jemandem zum Nachschauen zu schicken. Und sie musste es schaffen, aus dem Graben herauszukommen und den Wald zu erreichen, ehe sie gefasst wurde. Einen anderen Weg gibt es nicht, sagte sie sich. Doch noch zögerte sie.
Unerwartet ertönte über ihr ein lauter Ruf, und Emma schaute hoch. Sie sah Bertrands Silhouette, die sich gegen das Kerzenlicht im Zimmer dunkel im Fenster abhob. Vermutlich war er zu einem weiteren, unangemeldeten Besuch gekommen. Und dafür hatte er den verdammt ungünstigsten Zeitpunkt gewählt.
Emma wandte das Gesicht zur Mauer, holte tief Luft, stieß sich mit den Füßen ab und ließ das Seil los.
Sie fiel wie ein Stein, und ihre Röcke schlugen ihr über dem Kopf zusammen, als sie in das stinkende Wasser des Grabens klatschte. Er war tiefer, als sie erwartet hatte. Es schien ewig zu dauern, bis sie den Grund berührte. Sie dachte daran, dass in diesem Moment die Wachen ausschwärmten, um nach ihr zu suchen. Und dieser Gedanke gab ihr das Gefühl, alles wie in Zeitlupe zu erleben. Als sie endlich den unebenen Grund unter den Füßen
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