Nächte des Schreckens
Messer hervor.
Sein Onkel nickt zufrieden.
»Damit wird es gehen. Komm mit mir in die Scheune. Ich habe es schon festgebunden!«
Zwei Stunden darauf erscheinen Onkel und Neffe wieder in der großen Stube des Bauernhofes. Eugenie schenkt beiden ein Glas Wein ein.
Pierre hebt sein Glas: »Auf das dahingegangene Kalb! Für einen Metzgerlehrling machst du deine Sache schon sehr gut, mein Junge, alles, was recht ist!«
Der Bauer senkt plötzlich die Stimme, als könne sie jemand hören: »Ein schönes Tier war das! Ich werde auf dem Markt von Bourganeuf einen guten Preis dafür erzielen, und du bekommst auch etwas davon ab.«
»Ich habe es nicht des Geldes wegen getan, Onkel, sondern um dir einen Gefallen zu erweisen!« protestiert Joseph. »Du bist ein guter Junge, Joseph! Aber du darfst von dieser Sache niemandem etwas erzählen, nicht das kleinste Sterbenswörtchen, hörst du! Du weißt, wie das bei den Gendarmen heißt: »Schwarzschlachtung« nennen sie es. Und wenn jemand davon erfährt, bekomme ich großen Ärger und du ebenfalls. Der alte Doublet würde dich dann bestimmt nicht in seiner Metzgerei behalten.«
Joseph Allard nickt schweigend, doch sein Onkel beharrt: »Du mußt es schwören, Joseph!«
Joseph spuckt aus und erklärt: »Ich schwöre es, Onkel Pierre.«
Am 15. November tritt Joseph Allard wie jeden Tag um sieben Uhr morgens seine Arbeit in der Metzgerei Doublet an. Er ist dort seit sechs Monaten als Lehrling angestellt. Da Joseph im ersten Stock des Hauses ein kleines Zimmer bewohnt, muß er nur die Treppe hinuntergehen.
Joseph ist heute besonders guter Laune. Er bereut keineswegs, sich in der vergangenen Nacht an der Schwarzschlachtung, wie der Onkel es genannt hat, beteiligt zu haben. Aber was täte er nicht für ihn und für Tante Eugenie? Die beiden haben ihn großgezogen, nachdem er als kleiner Junge seine Eltern verloren hatte. Seitdem er bei Monsieur Doublet als Lehrling tätig ist, wohnt er jedoch nicht mehr bei Onkel und Tante.
Jedenfalls hat es ihn mit sehr viel Stolz erfüllt, ihnen diesen Dienst erweisen zu können. Als sie das Kalb geschlachtet haben, ist er erstmals in der Lage gewesen, seine neuerworbenen Kenntnisse als Metzgerlehrling anzubringen, und er hat sich auch zum erstenmal wie ein Mann gefühlt... Trotzdem ist Joseph Allard noch weit davon entfernt, ein Mann zu sein. Körperlich gesehen ist er es vielleicht schon, aber geistig ganz sicher noch nicht. Im Dorf sagt man über ihn: »Joseph hat ein gutes Herz, aber nicht viel im Kopf.«
Da wird mehrmals an die Tür des Geschäfts geklopft, das um diese Zeit noch geschlossen ist. Joseph, der im Begriff war, verschiedene Braten vorzubereiten, wischt sich die Hände an der Schürze ab und geht öffnen.
Draußen steht der Wachtmeister Cosson und zwei seiner Leute. »Joseph, wir wollen mit dir reden...«
Der Metzgerlehrling wird bleich. Wird der Polizist gleich von der Schwarzschlachtung anfangen?
»Es geht um Augustine Dubas. Sie wurde heute nacht in ihrem Haus ermordet.«
Joseph atmet tief durch. Natürlich tut es ihm leid wegen Augustine Dubas, einer alten Witwe, die im Dorf als besonders wohlhabend galt, aber die Hauptsache ist doch, daß das Kalb seines Onkels aus dem Spiel bleibt.
Er lächelt, ohne etwas zu erwidern.
Der Beamte fährt fort: »Joseph, du wirst uns jetzt sagen, wo du letzte Nacht gewesen bist.«
Bei dieser Frage fühlt sich Joseph plötzlich, als ob sich ein Abgrund vor ihm auftut.
»Wo ich letzte Nacht gewesen bin? Nun, ich war zu Hause...« Wachtmeister Cosson schlägt mit der Faust auf den Ladentisch: »Und um zehn Uhr abends warst du wohl auch zu Hause, wie? Oder warst du vielleicht rein zufällig mit deinem Fahrrad im Wald unterwegs? Lüg nicht! Es hat dich jemand gesehen!«
Jetzt sitzt Joseph in der Falle. Natürlich war er gestern abend im Wald, denn er mußte ihn durchqueren, als er zu seinem Onkel wollte. Und dort in der Nähe befindet sich auch das Haus der alten Augustine. Joseph versucht, blitzschnell nachzudenken... Am wichtigsten ist das, was er seinem Onkel geschworen hat, nämlich, daß er nichts über das Kalb erzählen darf. Also kann er zum Teil bei der Wahrheit bleiben.
»Ich war zu Hause, aber ich bin erst gegen zehn Uhr zurückgekehrt, denn vorher war ich bei meinem Onkel.«
»Und was habt ihr an diesem Abend gemacht?«
Joseph zieht die Stirn in Falten. Er besitzt keinerlei Phantasie und mußte sich noch nie etwas Derartiges ausdenken. »Das kann ich Ihnen sagen«,
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