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Nächte im Zirkus

Nächte im Zirkus

Titel: Nächte im Zirkus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Angela Carter
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Denn langsam, aber sicher ging seit meinem vierzehnten Geburtstag der Umsatz zurück.
    Nicht so sehr, was unsere treuesten Klienten betraf, diese alten Roués, die vielleicht noch Mutter Nelson selbst in den fernen Tagen der bartlosen Jugend und der vorzeitigen Ejakulation eingeweiht hatte, oder die Kunden, die so enge Bindungen an Annie oder Grace eingegangen sein mochten, daß man von einer Art Ehe sprechen konnte. Nein. Diese Gentlemen konnten ihre lebenslangen Gewohnheiten nicht ändern. Mutter Nelson hatte sie mit jenen schattenlosen Stunden des Mittags und der Mitternacht vertraut gemacht, sie waren der Klarheit der gekauften Lust hörig, der Einfachheit des Vertragsverhältnisses, die in dem duftenden Empfangszimmer zelebriert wurde.
    So ein freundlicher alter Zausel gab der halben Frau, der halben Statue gütig-väterlich einen halben Sovereign oder ein Perlenkettchen - hatte er sie doch schon in frühesten Tagen gekannt, wo sie Amor gespielt und manchmal in kindlichem Vergnügen ihre Spielzeugpfeile verschossen hatte, hier ein Ohr treffend, da ein Paar runde Backen, dort ein Paar Eier.
    Aber mit ihren Söhnen und Enkeln war es etwas anderes. Wenn für sie die Zeit gekommen war, La Nelson und ihre Mädels zu treffen, dann kamen sie hereingetrabt, verschüchtert und doch aggressiv, errötet bis runter an den steifen Kragen, zitternd vor Nervosität und ängstlicher Erwartung, und dann sahen sie das Schwert in meiner Hand, und Louisa oder Emily hatten dann nachher ihre liebe Not mit ihnen.
    Ich führe das alles auf den Einfluß von Baudelaire zurück, Sir.«
    »Wie bitte?« rief Walser, hinreichend verblüfft, um seine professionelle Unerschütterlichkeit zu vergessen.
    »Ein französischer Dichter, Sir; ein armer Kerl, der die Huren nicht wegen des Vergnügens an der Sache liebte, sondern wegen des Entsetzlichen, wie er es sah, als wären wir nicht berufstätige Frauen, die es für Geld tun, sondern verdammte Seelen, die es nur machen, um die Männer in den Untergang zu treiben, als hätten wir nichts Besseres zu tun... Und wir waren doch alle Suffragetten in diesem Haus, ach, Nelson war voll und ganz für Den Frauen das Stimmrecht!, ich kann’s Ihnen sagen.«
    »Erscheint Ihnen das merkwürdig? Daß der Vogel im Käfig das Ende der Käfige sehen möchte, Sir?« fragte Lizzie mit einem stählernen Klang in der Stimme.
    »Ich sage Ihnen: Hinter Mutter Nelsons Tür begann eine vollkommen weibliche Welt. Selbst der Wachhund war eine Hündin und alle Katzen weiblich, die eine oder andere immer von Jungen umgeben oder gerade dabei, zu werfen, so daß ein Kontrapunkt der Fruchtbarkeit unter der glänzenden Sterilität der fleischlichen Freuden dahinlief, die in unserer Akademie zur Verfügung standen. Das Leben in diesen Mauern wurde von einer sanften und liebevollen Vernunft regiert. Ich habe nie gesehen, daß eine der Schwestern, die mich aufzogen, die andere auch nur ein einziges Mal geschlagen hätte - kein böses Wort, nicht einmal eine im Zorn erhobene Stimme. Bis um acht Uhr, wenn die Arbeit begann und Lizzie ihren Posten am Guckloch in der Haustüre einnahm, blieben die Mädels in ihren Zimmern, und die friedliche Stille wurde vielleicht nur vom Staccato der Schreibmaschine unterbrochen, wenn Grace Stenographie übte, oder vom lyrischen Plätschern der Flöte, auf der sich Esmeralda als Virtuosin erwies.
    Was dann jedoch kam, nachdem sie ihre Bücher zur Seite legten, war nur der Broterwerb von armen Mädchen, und wenn manche der Kunden schworen, daß Nutten es aus reinem Vergnügen machen, dann sagt man das doch nur, um das eigene Gewissen zu beruhigen und sich nicht ganz so töricht vorzukommen, wenn man bares Geld für Lust hinlegt - für die Lust, die nicht wirklich existiert, wenn sie nicht frei gegeben wird. Ach, als ob wir nicht gewußt hätten, daß wir nur die Imitation, das Phantom der Lust verkauften! Keine Frau würde ihren Bauch für den Beruf hinhalten, wenn nicht der ökonomische Zwang dahinterstünde, Sir.
    Ich verdiente mir die Reise auf Mutter Nelsons Schiff als lebende Statue, und während der Jahre meines Aufblühens, vierzehn bis siebzehn, existierte ich nur als Objekt in den Augen von Männern, nachdem das nächtliche Klopfen an der Tür begonnen hatte. Das war meine Lehrzeit für das Leben, denn vertrauen wir uns auf unserer Reise durch die Welt nicht dem Erbarmen der Augen anderer Menschen an? Ich stand da wie in eine Muschel eingeschlossen, denn die weiße Schminke wurde auf meinem

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