Nächte im Zirkus
Gesicht und meinem Körper hart und bedeckte mich wie eine Totenmaske, doch im Inneren dieser marmornen Erscheinung vibrierte in mir eine Welt von Möglichkeiten. In dieses künstliche Ei, diesen Sarkophag der Schönheit eingesiegelt wartete, wartete ich... obwohl ich nicht hätte sagen können, worauf. Außer, ich kann es Ihnen versichern, daß ich keineswegs auf den Kuß eines Prinzen wartete, Sir! Mit meinen beiden Augen sah ich jede Nacht, wie mich solch ein Kuß für immer in meiner Erscheinung festbannen würde!
Ich war aber besessen von der Idee, daß ich für ein besonderes Schicksal gefiedert worden war, wenn ich mir auch nicht vorstellen konnte, was das sein mochte. So wartete ich mit steinerner Geduld, daß dieses Geschick sich zu erkennen gab. Wie ich jetzt warte, Sir«, sagte sie direkt zu Walser gewandt, dem sie sich zugedreht hatte, »während die letzten Spinnweben des alten Jahrhunderts verwehen.«
Dann schwang sie sich auf ihrem Stuhl vor den Spiegel zurück und steckte sich nachdenklich eine widerspenstige Locke auf.
»Andererseits - bis Liz die Tür aufmachte und die Männer einließ und wir alle Haltung annehmen und uns wie Frauen verhalten mußten, bis dahin hätte man sagen können, daß in unserem wohlgeordneten Hauswesen alles luxe, calme et volupté war, wenn auch nicht ganz so, wie der Dichter es sich vorstellte. Wir befaßten uns alle mit unseren intellektuellen, künstlerischen oder politischen -«
Lizzie hustete.
»- Neigungen, und ich meinerseits widmete diese langen Mußestunden dem Studium der Aerodynamik und der Physiologie des Fluges, in Mutter Nelsons Bibliothek, deren reichem Bücherschatz ich entnommen habe, was immer ich an bescheidenem Wissen besitze, Sir.«
Hier blinzelte sie Walser mit ihren langen Wimpern im Spiegel zu. Bei der hellen Länge dieser Wimpern - gut und gern drei Zoll - hätte er meinen können, daß sie ihre falschen gar nicht abgelegt hatte, wären diese nicht unter dem beeindruckenden Abfallchaos auf dem Tisch zu sehen gewesen, schlaff herumliegend und haarig wie Stachelbeeren. Er machte sich immer noch mechanisch Notizen, aber indem die Frauen die Verwicklungen ihrer ineinander zusammenhängenden Geschichten entfalteten, kam er sich mehr und mehr vor wie ein kleines Kätzchen, das sich in einem Wollknäuel verfängt, welches es eigentlich gar nicht hatte aufrollen wollen, oder wie ein Sultan zwischen zwei Scheherazaden, beide fest entschlossen, tausend Geschichten in einer Nacht zusammenzudrängen.
»Bibliothek?« fragte er nach - unbeirrbar, wenn auch mit einer Spur von Müdigkeit.
» Er hat sie ihr hinterlassen«, sagte Lizzie.
»Wer hat wem was hinterlassen?«
»Dieser Alte. Hat Nelson seine Bibliothek hinterlassen. Weil, sie war nämlich die einzige Frau in London, bei der er noch einen hochgekriegt hat -«
» Lizzie ! Du weißt, ich verabscheue Vulgaritäten!«
»- und das trotz ihrer schwarzen Augenklappe und ihren Mannskleidern. Oder deswegen. Ach, ihre dicken Schenkelchen in den Rehlederhosen! Wie sah sie lieb aus! Er war ein Gentleman aus Schottland mit einem langen Bart. Erinnere mich gut. Hat nie seinen Namen gesagt, natürlich. Er hat ihr die Bibliothek hinterlassen. Unsere Fevvers hat immer dort rumgewühlt, die Nase in einem Buch, nur eine Tüte Pfefferminzhumbugs zur Gesellschaft.«
Humbugs, notierte sich Walser mit erneutem Enthusiasmus. In England, eine Kindersüßigkeit; in Amerika -
»Mit dem Fliegen war es folgendermaßen«, fuhr Fevvers unerbittlich fort. »Sie müssen sich klarmachen, daß meine Größe, mein Gewicht und mein Körperbau allgemein nicht so sind, daß mir das Fliegen leichtgefallen wäre. Ich habe zwar genügend Platz in der Brust für Lungen von der nötigen Größe. Aber die Knochen der Vögel sind mit Luft gefüllt und meine mit solidem Mark, und wenn mein bemerkenswert entwickelter Thorax sich dem Wind genauso wie die Brust einer Taube entgegenwölbt, dann hört doch die Ähnlichkeit da auch sofort auf. Balanceprobleme und die elementaren Fragen des Umgangs mit dem Wind - der ein unsteter Liebhaber ist - haben mich lange Zeit beschäftigt.
Sind Ihnen meine Beine aufgefallen, Sir?«
Sie steckte ihr rechtes Bein durch die Öffnung des Morgenmantels. Der Fuß trug einen abgetretenen Slipper aus rosa Samt, mit angeschmutzten Schwanendaunen abgesetzt. Das Bein selbst, vollkommen bloß, war bewundernswert lang und schlank.
»Meine Beine stimmen mit meinem Oberkörper nicht zusammen, vom rein ästhetischen
Weitere Kostenlose Bücher