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Nächte im Zirkus

Nächte im Zirkus

Titel: Nächte im Zirkus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Angela Carter
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Vagabundenhosen fallen ließ, um ein Glied von priapischen Ausmaßen zu enthüllen, leuchtend purpurfarben und mit gelben Sternen übersät, von dem zwei kirschrote Ballons baumelten. Da zog ein zweiter August mit schlimmem Grinsen eine Schere aus der hinteren Hosentasche und schnitt das schreckliche Ding ab - doch wie er es triumphierend in der Luft schwenkte, erschien ein zweiter greller Phallus an Stelle des ersten, diesmal hellblau mit scharlachfarbenen Tupfen und roten Hoden, und so weiter, bis der Clown mit der Schere mit einem Dutzend der Dinger jonglierte.
    Es schien, als tanzten sie den Raum zuschanden. Während die Babuschka schlief, schmolz die allzufeste Küche unter den Schlägen ihrer Unordnung zu Fragmenten, als sei sie immer nur eine raffinierte Kulisse gewesen, und die purpurne Nacht Sankt Petersburgs schob sich in schartigen Keilen durch die Wände um den Tisch, auf dem diese Komödianten mit so wenig Freude herumtobten, in einem Tanz, der schien, als sollte er das Ende der Welt heraufrufen.
    Dann winkte Buffo, der die ganze Zeit an seinem Christus-Platz gesessen hatte, mit der Reglosigkeit des Maskierten, Klein-Iwan - dem unschuldigen kleinen Iwan -, damit er den schwarzen eisernen Kessel brächte, aus dem die Fischsuppe geschöpft worden war, und ihn vor ihn hinstellte. Und so trat das wie in Trance sich bewegende Kind in das Spiel.
    Mit zeremonieller Würde sich erhebend fischte der Meister der Clowns in dem Kessel herum und fand dort alle möglichen unanständigen Gegenstände - Unterhosen, Klobürsten und lange, lange Rollen Klopapier. (Analität, die eine Eigenschaft, die sie in der Tat mit Kindern gemeinsam hatten.) Nachttöpfe erschienen aus dem Nichts, und bald trugen sie einige auf den Köpfen, während Buffo immer mehr und noch mehr widerliche kleine Überraschungen aus den Zaubertiefen seines Topfes hervorholte und sie mit kaiserlicher Großzügigkeit seinem Gefolge servierte.
    Tanz der Auflösung und der Regression, Feier des Urschleims.
    Klein-Iwan sah starräugig zu, am Rande der Panik, der Hysterie, und doch war alles still wie ein Sommertag - nur Gesumm und Pulsschlag von Grik und Grok und gelegentlich, wie ein Laut aus einer anderen Welt, ein Schnarchen und Aufseufzen der Babuschka auf dem Ofen.
    Trotz Fevvers’ Pflege und der Hilfe des Arztes fühlte sich Walser immer noch steif und wund von der Umarmung des Tigers, und obwohl er wußte, daß diese Darbietung in gewisser Weise zu seinen Ehren stattfand, sogar eine Art Initiation darstellte, war sie nicht sehr nach seinem Geschmack, und er schlüpfte durch einen der Risse, welche die Festlichkeit geschaffen hatte, auf die eiseskalte Straße hinaus. Bei der Berührung der Kälte sirrte seine Wunde wie eine Säge.
    An einer bröckelnden Mauer, widerwillig erleuchtet von einer kärglichen Straßenlaterne, hing ein frischgeklebtes Plakat. Er konnte die kyrillische Aufschrift nicht lesen, aber sie konnte er sehen - Fevvers, in all ihrer Üppigkeit, mitten in der Luft schwebend, in ihrer neuen Inkarnation als Zirkusstar. Der Colonel hatte den Entwurf des französischen Zwerges übernommen, hatte aber von weniger geschickter Hand Bilder der Prinzessin von Abessinien, von den Katzen, den Affen, der Clowns selbst hinzufügen lassen, so daß sie alle von Fevvers’ gebreiteten Flügeln beschirmt schienen, wie die Armen der Welt Schutz unter dem Mantel der erbarmungsreichen Madonna finden.
    Als Walser das Plakat mit sardonischem Lächeln besah, löste sich ein Schatten aus den anderen Schatten unter der Laterne, kam wie ein Windstoß über die Straße gelaufen und warf sieh weinend zu Walsers Füßen, seine Hand mit Küssen überschüttend.

V
    So kam es, daß Walser die Frau des Affen-Mannes erbte, obwohl er kein Wort von dem verstand, was sie sagte, ihren Namen ausgenommen: Mignon; und sie blieb auf der Straße hingekauert sitzen und klammerte sich mit ihren armen knochigen Händen an seine kurzen Hosen.
    Sie trug immer noch dasselbe wie am Morgen - den dünnen, verblichenen baumwollenen Morgenmantel, keinen Mantel, kein Tuch, und ihre bloßen Arme waren mauve-gefleckt vor Kälte. Die kleinen weißen Kaninchenknochen ihrer Knöchel waren über den zerrissenen Filzpantoffeln an ihren nackten Füßen zu sehen. Ihr schlaffes, helles Haar hing in nassen Rattenschwänzchen von ihrem kleinen Kopf. Mit seiner Linken - der guten Hand - zog er sie herauf, und sie richtete sich widerstandslos auf, leicht wie ein leerer Korb. Sie lehnte sich gegen

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