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Nächte im Zirkus

Nächte im Zirkus

Titel: Nächte im Zirkus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Angela Carter
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gab bedeutende Summen für solche Apparate aus und beschäftigte sich mit höchst respektablen Forschungen zu Systemen der mechanischen Wiedergabe von Bildern - in vieler Hinsicht hatte er die Züge des Wissenschaftlers, der seinen Beruf verfehlt hat. Die Kunst, das Handwerk der Illusion faszinierten ihn tatsächlich, und während der ganzen Zeit, die Mignon bei ihm verbrachte, führte er einen gelehrten Briefwechsel mit einem gewissen Mr. Robert Paul in London über eine Erfindung, die Paul sich hatte patentieren lassen. Mr. Paul behauptete, seine Erfindung würde dem menschlichen Begehren, gleichzeitig in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu leben, eine materielle Grundlage verschaffen. Sie bestand aus einer Leinwand, auf welche in einer dem Zufall überlassenen Reihenfolge Bilderreihen projiziert wurden, die nachgestellte Szenen aus der Vergangenheit, Gegenwart und der zu erwartenden Zukunft darstellten, während die Zuschauer in ihren komfortablen fauteuils einem sanften Luftzug ausgesetzt waren, der von einer per Handkurbel bedienten Windmaschine herrührte und den Reisewind andeuten sollte. Herr M. trat sogar im Auftrag seines Kollegen in Verhandlungen mit einer Tanztruppe aus einem Variété, das er kannte, damit sie historische Gestalten vor seiner Kamera darstellten. (Er war, wie nicht erwähnt werden muß, ein ausgezeichneter Photograph.) Alles höchst korrekt und geschmackvoll.
    Doch wenn er auch leidenschaftlich seinem Hobby anhing und fast seine ganzen freien Stunden im Arbeitszimmer mit dem Praxinoskop, dem Phasmatrop und dem Zoopraxiskop verbrachte, wo er auf einer weißen Leinwand Photographien von Pflanzen und Tieren erscheinen ließ, die oft wirkten, als bewegten sie sich, so waren diese Studien doch für sein Geschäft nur von marginaler Bedeutung; das bestand darin, den Lebenden das Geld dafür aus der Tasche zu ziehen, daß er ihnen Unterredungen mit ihren Toten verschaffte.
    Sie will nicht reden, will nicht lächeln...
    Ah, wie die Krankheit sie verändert hat! wie ihr kleines Gesichtchen entstellt ist! doch in dem glücklichen Lande, wo sie nun wohnt, gibt es nicht Krankheit noch Schmerz.
    »Ach, mein Liebling!«
    »Still! Belasten Sie sie nicht mit Ihrem Gram! Haben Sie Erbarmen mit ihr!«
    Woraus man ersieht, daß Herr M. durchaus menschliche Züge besaß, zu welchen er sich oft selbst beglückwünschte - spendete er nicht Trost, stillte er keine Schmerzen? Beruhigte er nicht in der Güte seines mitfühlenden Herzens die leidenden Seelen, die ihre Qual in sein Wohnzimmer trugen? Hatte er nicht jene mitleidsvolle Neuerung entdeckt, die ihn von allen anderen Medien unterschied, konnte er nicht seinen unglücklichen Klienten authentische Bilder ihrer teuren Dahingeschiedenen verkaufen, die den Beweis erbrachten, daß sie - in welcher Welt sie nun auch weilen mochten - noch immer blühten?
    Geschäftig interpretierte er unhörbare Stimmen, mit den besten Absichten.
    »Sie bittet Sie: Papa! Mama! Nicht weinen!« Oder: »Sie sagt, sie fände keinen Frieden, solange Sie noch an Ihrem Kummer trügen.« Herr M. schob die Geldscheine in seine Standuhr und empfand dabei eine Befriedigung, die nicht rein finanzieller Natur war, die zumindest teilweise die eines barmherzigen Samariters war.
    »Würden sie nicht bezahlen, würden sie auch nicht glauben, und dann hätten sie gar nichts davon.«
    In seinem L-förmigen Wohnzimmer hingen Spitzenvorhänge um den Rundbogen, der zum Fuß des L führte, neben der grünglasierten Jardinière, auf der ein Topf mit Farnkraut stand. Auf diesen Alkoven war die Mahagonikamera von Herrn M. gerichtet, die wie ein kleines holzgetäfeltes Zimmer für sich wirkte. Hinter der Kamera stand der runde Tisch, an dem Herr M. die Hände der Eltern mit solcher Feierlichkeit ineinanderlegte, als vermähle er sie, und sie bat - mit dringlichem Flüstern! -, völlig regungslos zu bleiben. Wenn auch ihr Gesichtsfeld teilweise durch die Kamera verdeckt wurde, taten sie doch immer, wie er sie geheißen hatte, reckten nie die Hälse, um besser zu sehen, zu sehr von Ehrfurcht erfüllt. Kam ein Trauernder allein, legte Herr M. seine oder ihre Hände fest auf den Tisch und versicherte ihnen, daß der Geist sofort verschwände, wenn der Kontakt mit der Plüschoberfläche auch nur eine Sekunde unterbrochen würde.
    Der Alkoven selbst lag stets im Dunkel, und purpurne Wolken stiegen aus Räucherwerk in chinesischen Vasen. Das Bücherregal an der hinteren Wand ließ sich an sorgfältig

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