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Nächte im Zirkus

Nächte im Zirkus

Titel: Nächte im Zirkus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Angela Carter
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Kuß auf die Wange. Man konnte sagen, daß der Professor dem Affen-Mann das Flirten abnahm. O ja, sie würde gern ein Glas von ihrem Wein mittrinken.
    Sie war erst fünfzehn, und er nahm sie nur aus dem einen Grunde mit: um sie zu mißhandeln. Er hatte eine so feine Nase für ein Opfer, daß es erstaunlich war, daß er sich ein Leben unter klugen Schimpansen gewählt hatte, die vor seiner Stiefelspitze zur Seite hüpften und die, wenn er ihnen kein Abendessen gab, seine Brieftasche aus dem Jackett stahlen, während er betrunken auf dem Bett lag, und in die Stadt gingen und sich selbst ihr Essen kauften. Er war ein dunkler Mann aus Lyon, und seine Augenbrauen waren zusammengewachsen. Sie ging mit ihm zu seinem Wohnwagen - damals war er bei einem Wanderzirkus, der sein Zelt auf der Wiese aufschlägt - und riß am nächsten Morgen wie ein kleines Kind die Augen auf, als die weisen Affen sich in einem Eimer das Gesicht wuschen und sich in einer Reihe anstellten, um sich vor der kleinen gesprungenen Spiegelscheibe in ihrem Reisekäfig die Haare zu kämmen.
    Sie ging nicht erst in ihr Zimmer zurück, um ihre Kleider zu holen, sie lief einfach mit dem Zirkus davon. Es stellte sich heraus, daß er ein Trinker war, hart, schweigsam, gewalttätig.
    Am dritten Tag auf der Straße schlug er sie, weil sie die Schnitzel anbrennen ließ. Sie war eine entsetzliche Köchin. Am vierten Tag schlug er sie, weil sie vergessen hatte, den Nachttopf zu leeren, der nun übergelaufen war, als er hineinpinkelte. Am fünften Tag schlug er sie, weil es ihm zur Gewohnheit geworden war. Am sechsten Tag legte sie einer von den Stallknechten hinter der Freakshow flach. Die Schläge waren nun eine sich stets erfüllende Erwartung. Am siebten Tag nahmen sie drei marokkanische Akrobaten in ihren Wohnwagen mit, gaben ihr Raki zu trinken, der sie husten machte, ein wenig Haschisch, das ihre Augen glänzen ließ, und gebrauchten sie dann einer nach dem anderen auf verschiedene einfallsreiche Weisen zwischen dem glänzenden Kupfer und den Kristallglasornamenten der Teakholzeinrichtung. Was mit Mignon war, sprach sich schnell herum.
    Sie hatte ein überaus kurzes Gedächtnis; nur das rettete sie vor der Verzweiflung.
    Ein Stallbursche aus England, ein seltsamer Typ, hörte sie singen, während sie die Schimpansenkäfige ausfegte, und brachte ihr eine Menge neuer Lieder bei - einige davon, aber nicht alle, mit sehr unanständigen Texten, die Mignon aber nicht verstand. Es gefiel ihm, das blasse Waisenmädchen Obszönitäten singen zu hören, die keine Bedeutung für sie hatten, aber er hörte sie auch gern andere Lieder singen, denn er war ein musikalischer Junge, und sie lernte ein paar deutsche Lieder von ihm, über die muntere Forelle und das Röslein auf der Heiden, und noch andere.
    Er sprach gutes Deutsch, hielt sich aber überall zurück, denn er hatte ein Geheimnis: Er war vor einem Skandal an seiner Public School fortgelaufen, er mochte andere Jungen zu gerne und ließ Mignon in Ruhe, wofür sie ihm dankbar war. Sie ging oft mit ihm, und sie setzten sich in einer streng riechenden Ecke einer Pferdebox nieder und sangen zweistimmig »Jolly Boating Weather« oder »The lark now leaves his watery nest«.
    Eines Tages schlug ihn der Affen-Mann mit einem Besenstiel bewußtlos und verprügelte sie dann, bis der Besen brach, aber der Junge erlangte das Bewußtsein nicht mehr wieder. Sie waren auf der Landstraße, der Zirkus lagerte vor einem blankgescheuerten schweizerischen Städtchen wie aus lauter Kuckucksuhren, und der Affen-Mann zerrte den Jungen in ein Gebüsch und ließ ihn liegen.
    Abendanzug und Cape des Affen-Mannes, die Uniform, in der er seine Schützlinge in die Manege führte, baumelten von einem hölzernen Kleiderbügel (in einem Hotel in Paris gestohlen) an einem Haken in Wohnwagen, Pensionen, Theatergarderoben. Sie nahm dem Anzug nichts übel, wenn er sie auch getäuscht hatte, und wenn sie auch bald das Interesse an den Affen verlor, behandelte sie sie doch nicht schlecht. Sie wusch ihre Wäsche und flickte die Kostüme. Der Professor gab ihr nie wieder eine Blume, aber andererseits gab sie ihm auch nie wieder eine Banane.
    Was die Schimpansen von all dem hielten, ist die Frage. Nach einem eingehenden Studium dieser Kreaturen bei ihren Nummern, welche uns verspotten - das Radrennen, die Teegesellschaft, das Klassenzimmer -, hätte man zu dem Schluß kommen können, daß die Affen ihrerseits ihre eigenen genauen Beobachtungen unserer

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