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Nächte im Zirkus

Nächte im Zirkus

Titel: Nächte im Zirkus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Angela Carter
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und zwei Jahrtausende Zirkuskunst werden in einer Pizzeria in der Mott Street in New York enden.
    Gute Nacht.
    Als der Colonel zögernd einwilligte, die Charivaris zu entlassen, kam Fevvers wieder auf den Boden herunter, obwohl sie nicht sprang, wie sie im Alhambra gesprungen war, sondern wie jeder andere Trapezkünstler die für diesen Zweck bestimmte Strickleiter nahm. Ihr Knurren und ihre Flüche wurden lauter, als sie sich der Manege näherte.
    Walser war, zwischen Lachen und besorgtem Erstaunen, beinahe überzeugt, daß die Frau ebensowenig in Gefahr gewesen war wie ein Papagei, den man von der Stange schubst. Und obwohl er durchaus nicht bereit war, zu glauben, daß dies so sein könnte, war er bezaubert von dem Paradox: Wenn sie wirklich ein lusus naturae, ein unerhörtes Flügel-Wesen war - dann war sie kein Wunder mehr.
    Sie wäre dann nicht länger eine außergewöhnliche Frau, nicht mehr die größte aerialiste der Welt, sondern - ein Freak. Staunenswert, in der Tat, aber ein erstaunliches Monstrum, ein singuläres Wesen, dem das menschliche Privileg von normalem Fleisch und Blut versagt blieb, stets Gegenstand der Beobachtung, nie gewöhnlich-menschliche Sympathie empfangend, eine fremde, ewig entfremdete Kreatur.
    Sie ist es sich selbst schuldig, eine Frau zu bleiben, dachte er. Es ist ihre Menschenpflicht. Als symbolische Frau hat sie eine Bedeutung, als eine Anomalie keine.
    Als eine Anomalie würde sie wieder ein Ausstellungsstück in einem Kuriositätenmuseum werden, wie sie es schon einmal gewesen war. Aber was würde sie werden, wenn sie weiter eine Frau bliebe?
    Dann sah er, daß sie unter dem Rouge blaß war, als erhole sie sich gerade von wirklicher Angst, und daß sie sich in ihren Federmantel hüllte, als würde er sie wärmen. Sie sah ihn mit einem dünnen Lächeln an.
    »Beinahe wär’s alles aus gewesen, hm?« sagte sie zweideutig.
    Lizzie rannte mit einer halbvollen Flasche Cognac von der Bar zu ihr hin. Der Colonel war diskret um sie herum, sprach kosende Schmeichelworte, aber Fevvers ließ sich in einen Sitz der ersten Reihe sinken und brachte ihn zischend zum Schweigen, als lautes Eisenklirren den Aufbau des riesigen Käfigs ankündigte, in dem die Prinzessin und ihre Katzen auftraten.
    »Meine Protégée«, sagte Fevvers und trank Cognac. » Jetzt werden Sie was erleben.«
    Walser versuchte, sich neben sie zu setzen, aber Lizzie schob ihn nachdrücklich weg, und er nahm neben dem Colonel Platz.
    Ganz mit Mignons Debut beschäftigt, hatte die Prinzessin mit keinem Gedanken mehr an sich selbst gedacht, hatte vergessen, auch nur ein Kleid anzuziehen, und ihr Unterrock wie ihr Leibchen hätten schon lange in die Wäsche gehört, da der Saum des einen mit dem Kot der Käfige beschmiert war und die Taille des anderen blutige Spuren trug, wo sie sich abwesend die Hände abgewischt hatte. Doch Mignon - welche gute Fee hatte die kleinen Waise von der Straße mit ihrem Zauberstab berührt?
    Ihr flachsblondes Haar türmte sich in weichen Locken und wurde mit einer rosa Seidenrose zusammengehalten. Ein richtiges Ballkleid, weiß wie Zuckerguß, voll romantischer Rüschen und Spitzen, war so geschnitten, daß man gut sehen konnte, wie schön ihre blauen Flecke heilten. Sie reckte ihren mageren Busen, als wollte sie einem darin gefangenen Vogel die Freiheit geben.
    Nur fing der Colonel bei der zweiten Strophe an, raschelnd hin- und herzurutschen.
    »Lieder im Tigerkäfig!« überlegte er laut. »Die Nummer hat echt Klasse. Yessir. Aber könnte es nicht sein, daß das Ganze zu viel Klasse hat? Wenn Sie verstehn, was ich meine? Zu viel Niveau? Verschwendet an den Herrn Omnes? Könnte doch sein, daß...«
    »Pssst!« zischte Fevvers tadelnd.
    Walsers Augen brannten, und die Empfindung leichten Schwindels, die er nun nachgerade mit der Gegenwart der aerialiste verband, überwältigte ihn, obwohl er wußte, daß dieses Mal auch die Musik etwas damit zu tun hatte.
    Prasselnder Applaus der kleinen Zuschauergruppe, gefärbt von dem aggressiven Schweigen Sybils, das in gewisser Weise die Besorgnis des Colonels rechtfertigte, denn er hielt große Stücke auf den Geschäftssinn seines Schweins. Nein. Nicht für diese Show. Nicht so ein Lied. Mit der Sängerin war Geld zu holen, aber nicht, wenn sie und ihre Begleiterin die Manege in einen Konzertsaal zu verwandeln drohten. Er versuchte sich daran zu erinnern, wie sein großer Vorläufer Barnum damals Jenny Lind vermarktet hatte, die schwedische Nachtigall,

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