Nächte im Zirkus
miteinander spielen, wo der Tiger seiner Wildheit absagt, das Kind seiner Schläue? Ist es das? Ist es dort?
Die Katzen hoben alle ihre Häupter, und ihren Augen entflossen bernsteinfarbene Tränen, wie für ihr eigenes stummes Geschick. Langsam, langsam krochen alle die Tiere auf die Quelle der Melodie zu; die Schwänze schlugen sanft in das Stroh. Am Ende der ersten Strophe stieg ein leises ekstatisches Schnurren von ihnen empor, von allen, bis die ganze Menagerie wie das Innere eines gewaltigen Bienenstocks klang.
Und dann, dann Berg und Fels...
Als sich Mignons Stimme - zuerst noch unsicher - zu Gewißheit und Kraft sammelte und durch die Menagerie schwebte, sahen die Affen mit nicht zu beantwortenden Fragen in den Blicken von ihren Büchern auf; selbst die Clowns wurden still und schwiegen; die Elefanten hörten für die Weile des Liedes auf, mit ihren Ketten zu rasseln.
Die Prinzessin wußte, daß ihr Problem gelöst war: Die Angst des Anfangsaugenblicks war überwunden.
Als das Lied geendet hatte, seufzten die Katzen und schoben sich ein wenig auf den Hinterbeinen hin und her, doch der Einsatz für den Tanz kam nicht; die Prinzessin küßte Mignon.
Fevvers und Lizzie holten tief und erleichtert Atem und küßten sich ebenfalls.
»Das brutale Geschlecht hat sie wie einen alten dreckigen Handschuh weggeworfen«, sagte Fevvers.
»- aber wir Fraun haben sie glücklich in die Reinigung gebracht!« schloß Lizzie triumphierend.
Damit schien das Anstellungszeremoniell beendet. Die Prinzessin ließ Mignon vor den Katzen knicksen. Die Frauen kamen Hand in Hand aus dem Käfig. Die Katzen ließen ihre Schnauzen wieder zwischen die Pfoten sinken. Die Prinzessin küßte Fevvers auf beide Wangen, zum Dank.
»Wirklich eine Klasse-Nummer«, sagte Fevvers gratulierend. Sie verließen die beiden, wie sie begannen, den Walzer zu proben.
Und jetzt hatte sich der Hof geleert wie eine Badewanne, der man den Stöpsel gezogen hat, die Morgengeschäfte hier waren erledigt. Der Colonel war die Kasse prüfen gegangen, der Koch hatte seinen Stand mit hölzernen Läden verschlossen, die Stallburschen und Arbeiter hatten sich in die warmen Gerüche der Menagerie verzogen, um dort Karten zu spielen und Wodka zu süffeln. Die kleinen Charivaris lagen mit schrecklichen Magenschmerzen von den Kuchen des Geheimpolizisten in ihren Kojen, mit Wärmflaschen auf dem Bauch. Mama war böse auf Fevvers. In der öden Stille kamen die Vögel zurück, um im Abfall umherzupicken, und ein junger Mann in komisch übertriebenen Hosenträgern beugte sich unter die Pumpe, um sein Gesicht abzuwaschen, so gut dies mit einem Arm ging.
»Der Mann deiner Träume«, sagte Lizzie mißmutig. »Yankee-doodle-dandy, dieser Reporter.«
Fevvers trat hinter Walser, wartete ihren Moment ab und hielt ihm die Hände über die Augen, als sein Gesicht unter dem strömenden Wasser hervorkam.
»Buh!«
Die Liebe war er nicht gewöhnt, und so führte er es auf seine schlaflose Nacht zurück, als sein Herz bei ihrem Anblick laut zu schlagen anfing. Sie betrachtete ihn wider-willig-nachdenklich und schwang auf ihren hohen Absätzen ein wenig vor und zurück, mit denen sie ihm gegenüber ein paar Zoll im Vorteil war, ein Vorteil, den sie genoß.
»Was macht der kaputte Arm«, erkundigte sie sich.
Er zeigte ihr die Schlinge.
»Passen Sie gut auf damit. Kratzer von einem Tiger, das kann sich ganz schön gemein entzünden, so was.«
Ihre Stimme sank und wurde leise, klang ölig-schmeichelnd.
»Wie ich höre...«, sagte sie, »sind Sie gestern abend dem kleinen frischgebadeten Kätzchen davongelaufen, nach allem. Hab ich mich wohl vertan, Süßer. Scheint so, als ob Sie ihr gar nicht nachgestiegen sind.«
Walser verbarg sein Gesicht und rieb sich mit dem Ärmel die letzten Eispuren ab. Fevvers kicherte und gab ihm einen leichten Schlag mit ihren Handschuhen; die mürrische Unruhe der Nacht war ganz verflogen, eine geheimnisvolle Koketterie war an ihre Stelle getreten.
»Ich muß schon sagen, Mister Walser«, fuhr sie in spöttisch-lockendem Ton fort, »es ist äußerst schmeichelhaft, daß Sie mich auf diese Art und Weise verfolgen, bis ans Ende der Welt, sozusagen. Hmm?«
Ehe Walser antworten konnte, zog ihn Lizzie - als könne sie ihre Ungeduld über dieses Werbungs-Ritual nicht länger zügeln - am Ärmel seines heilen Arms.
»Ach, Mister Walser, es geht um ein paar Briefe nach Hause... wir - Fevvers und ich, heißt das - wir haben gedacht, ob Sie wohl...? Ach
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