Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nächte im Zirkus

Nächte im Zirkus

Titel: Nächte im Zirkus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Angela Carter
Vom Netzwerk:
Vision glänzend eingeölter Muskulatur stand er da und sah Walser im selben Augenblick. Sein Bizeps hob sich reflexartig. Fevvers legte eine Hand über die Augen und führte mit der anderen die Cognacflasche zum Mund.
    »Mein Name ist zwar Walser, Ma’am, aber ich fürchte, daß es mit dem Walzen nicht so weit her ist«, entschuldigte Walser sich bei seiner rotbraun-orangenen Partnerin, doch das schöne Wesen legte mit der Erleichterung des erlösten Mauerblümchens ihren Kopf mit sanftem, beruhigendem Druck auf seine heile Schulter, und es war immerhin gut, daß sie in einer gesänftigten Stimmung war, denn Zeit, ihre Handschuhe zu holen, war keine mehr. Sie führte. Sie steuerte Walser mit völliger Sicherheit und wunderbar ernsthafter Fürsorge durch den Ring.
    Eins, zwei, drei. Eins, zwei, drei.
    Mignon flog vorüber und schenkte dem Clown ein aufblitzendes Lächeln. Walser, vom ungeschmiedeten Stahl der Tigertatzen gestützt, dachte: La Belle et la Bête. Die Schöne und das Tier. Dann blickte er in die tiefenlosen Juwelenaugen der Tigerin und sah dort das ganze fremde Wesen einer Welt aus Fell, Sehnen und Anmut gespiegelt, in der er der plumpe Eindringling war, und während die Tigerin seine überwältigte Verwunderung noch einmal um das weiße Klavier der Prinzessin herumsteuerte, ließ er den Gedanken bei sich ein, wie die Tiger ihn denken würden: Hier kommt die Schöne, da das Tier!
    Der Atem der Tigerin stank erstaunlich, da ihr die verfaulenden Reste ihres Frühstücks noch zwischen den Zähnen saßen. Dies war der einzige störende Umstand.
    All die anderen Tiger waren nun auf den Hinterbeinen und tanzten Walzer wie in einem magischen Ballsaal im Land, wo die Zitronen blühn.
    Die Gitterstäbe der Manege zogen vorbei, erst einer nach dem anderen, dann, als das Tempo schneller wurde, glitten sie zu einem einzigen verwischten Gitterstab zusammen, einer Sperre, die man wahrnahm, aber nicht mehr empfand, bis schließlich auch dieser Stab sich auflöste und nur noch die grenzenlose Landschaft von Musik zurückblieb, in welcher sie für die Dauer des Tanzes in vollkommener Harmonie zusammenlebten.
    Diesmal war der Beifall orkanartig, und nicht nur die Prinzessin stimmte mit ein, sondern jedes einzelne Mitglied der Zirkustruppe (mit Ausnahme der verbitterten Charivaris), denn als Walser sich verbeugte, sah er alle Stallburschen, Arbeiter und Pferdewärter, sah Elefanten und Kunstreiter, deren Namen ihm unbekannt waren, fremde Parterreakrobaten und Jongleure, Mädchen, die aus Kanonen geschossen wurden, und vollzählig alle Clowns, alle von dem erstaunlichen Schauspiel angezogen, ihm alle erlegen. Der Colonel rutschte tiefer in seinen Sitz und strampelte mit seinen kurzen Beinen entzückt in der Luft. Fevvers grüßte Walser mit der leeren Cognacflasche.
    Walser führte die Tigerin zu ihrem Podest zurück und verbeugte sich. Sie warf ihn mit ihrem dröhnenden, dankbaren, übelriechenden Schnurren beinahe um. Mit exquisiter Contenance küßte ihn die Prinzessin auf beide Wangen, Mignon aber küßte sie auf den Mund, und die beiden Mädchen hingen ein wenig länger aneinander, als der Anstand erlaubt hätte, nur einen Moment länger, wenn es auch - so groß war die Erregung des Beifalls - niemand bemerkte außer jenen, welche es nicht überraschte.
    Dann schlug die Prinzessin den Deckel des Klaviers zu, nahm ihr Gewehr und winkte befehlend damit. Die Katzen sprangen von ihren Podesten und verschwanden den Laufgang hinunter. Plötzlich war der Zauber vorbei.
    Der Colonel war mit den Fortschritten des von ihm selbst ausgesuchten August wohlzufrieden - jetzt war er sowohl Menschliches Hähnchen wie Gigolo der Tigerin. Doch später am Nachmittag schlug der Starke Mann Walser zusammen, und nur das Dazwischentreten der Trapezkünstlerin rettete ihn.
    Der gehörnte Ehebrecher trägt ein doppeltes Geweih - die Stirn des Starken Mannes barst fast unter dem Gewicht. Er lauerte im ruhigen Gestank der Menagerie, wartete, bis Walser aus den Eingeweiden des Zirkusgebäudes hervorkam, um im Hof zu pinkeln, und sprang ihn dann von hinten an. Er warf ihn vor der elementaren Gleichgültigkeit der Elefanten auf die Pflastersteine. Walsers Hahnenkamm und die Perücke fielen ab.
    Der Starke Mann kniete auf Walsers Rücken und trat ihn immer wieder mit den Knien in die Nieren, doch man hätte meinen können, er litte größere Schmerzen als Walser, denn er schluchzte wie ein Kind. Walser, dessen rechter Arm nutzlos war, konnte nichts

Weitere Kostenlose Bücher