Nächte im Zirkus
tun, sich zu verteidigen, und wand sich unter dem großen keuchenden Inkubus, bis ein Guß Wasser auf sie beide niederklatschte.
Das löschte das Feuer des Starken Mannes. Er rollte von Walser herunter, heulend und triefend, ein elender Anblick. Diesmal war es Fevvers, die den Schlauch hielt, mit dem die Prinzessin schon einmal Walser gerettet hatte. Sie schüttelte die letzten Tropfen auf eine beunruhigend maskuline Weise ab und legte ihn weg. Mignon spähte aus der Tigerstallung nach dem Lärm hervor. Als sie den Starken Mann Samson in solch rührend-nasser Elendigkeit erblickte, ging ein Aprilwetter von Sympathie-Tränen über ihr Gesicht. Ihr Gedächtnis war zu kurz, als daß sie jemandem etwas nachgetragen hätte.
Walser, sich selbst überlassen, stand auf und suchte nach seinen Kopfbedeckungen. Wasser rann aus seinen Ärmeln und seinen Hosenbeinen. Fevvers scheuchte die Kombattanten in die Wohnung der Prinzessin, doch als der Starke Mann sah, wie die Tiger sich aufmerksam aufrichteten, begann er wieder zu brüllen, diesmal aus Angst. Er war wie gewöhnlich nur mit seinem Lendentuch aus Tigerfell bekleidet, auf das die Prinzessin mit bedeutungsvoller Geste wies.
»Sie will sagen: runter damit«, sagte Fevvers zu ihm. »Die schätzen diesen Anblick nicht.«
Er rieb sich die Fäuste in die Augenhöhlen und rührte sich nicht, so daß sie es selbst abnahm, wobei einen Augenblick lang sein enormer Schwanz zum Vorschein kam, jetzt in sich zusammengefallen und geschrumpft, nur noch das Schemen seiner selbst, ehe sie ihm ein Handtuch umlegte und den Lendenschurz in sichere Entfernung wegwarf. Walser beeilte sich, seine Hosen selbst auszuziehen, ehe - oh! entsetzliche, oh! ekstatische Vorstellung - sie Hand auch an ihn legen könnte. Bald waren beide in Handtücher gehüllt und saßen auf Strohballen. Es war vier Uhr, und Mignon rannte zu der eben wieder geöffneten Kochbude, um wärmenden Tee zu holen.
Mignons Ballkleid hing an einem hölzernen Kleiderbügel, auf dem »Hotel de l’Europe« stand, an einer Stange. In ihrer Behausung wirkten die beiden Raubtier-Dompteusen wie ein Paar Schulmädchen, die bei einem Spiel im Schlafsaal überrascht worden sind. Wie die Prinzessin machte sich auch Mignon nicht die Mühe, sich zu Hause anzuziehen, aber ihre Unterwäsche war brandneu, feinster Batist und broderie anglaise. Ein Preisschildchen hing noch am Saum des Unterrocks.
Der Starke Mann nahm einen Schluck Tee, und dann begannen seine Tränen wieder hervorzubrechen. Fevvers nahm mit unparteiischer Mütterlichkeit seinen Lockenkopf in die Arme und bettete ihn auf ihre Brust. Walser war beleidigt, denn er war der Zerschlagene, und um ihn kümmerte sich niemand - außer Mignon, die unvermutete praktische Fähigkeiten in sich entdeckte und im Vorbeigehen ein Beefsteak nahm und es gegen sein Gesicht legte, um das Anschwellen eines monströsen Veilchens zu verhindern. Doch ihre Aufmerksamkeit war nicht die, die er wollte, und je mehr der Starke Mann schluchzte und sich anschmiegte, desto ungerechter fühlte Walser sich verkannt und mißachtet.
»Ich hab sie nie angerührt!« sagte er mit Betonung in Richtung Samsons hinüber, was nur einen neuen Tränensturm auslöste. Der Starke Mann murmelte etwas zwischen Fevvers’ Brüsten, was nur sie hören konnte.
»Er sagt, er liebt dich«, teilte sie Mignon mit. Mignon blickte sie reglos an. Fevvers übersetzte hastig ihre eigenen Worte. Mignon lachte. Der Starke Mann weinte und murmelte noch etwas.
»Er sagt, er liebt dich, aber er ist ein Feigling.«
Diesmal lachte Mignon nicht; sie stieß ihren bloßen Zeh in das Stroh.
Gemurmel, Gemurmel.
»Er sagt, er liebt dich, er ist ein Feigling, und er kann es nicht ertragen, daran zu denken, daß du in den Armen eines Clowns liegst.«
Es war die Prinzessin, die diesmal in Gelächter ausbrach, aber Mignon schüttelte den Kopf: »Nein! Nie mit einem Clown!«
Dies beruhigte den Starken Mann ein wenig, und es gelang ihm, seinen Tee zu trinken.
Das Wort EISEN war mit groben Lettern auf die Knöchel seiner Rechten geschrieben, und STAHL auf die der Linken. Die Tätowierungen sahen erbärmlich und grausam aus, wie mit einem Taschenmesser eingeritzt und dann mit Tinte eingerieben, in einer lieblosen, sich selbst verstümmelnden Kindheit. Sein ganzer Riesenbau war Muskel und schlichte Dummheit, es saß kein Fleisch, kein Fett, kein Witz an seinem Körper. Er hatte eine gut geformte stumpfe Nase, und wie er nun aufhörte zu schniefen,
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