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Nächte im Zirkus

Nächte im Zirkus

Titel: Nächte im Zirkus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Angela Carter
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Liebling des amerikanischen Publikums... Mignon unter Vertrag nehmen, gut; aber unter Vertrag für diese Katzennummer? Hmmm. Sehr problematisch.
    »Was andres«, fragte er heiser und brüsk, auf seinem Stummel kauend, »kannst du noch irgendwas andres?«
    Mignon, die ihre romantischen Röcke mit wunderbarer Geschicklichkeit handhabte, näherte sich dem größten Tiger und machte vor seinem Podest einen Knicks. Damenwahl!
    Der Schwanz des Tigers zuckte, und die Nüstern sogen den Reiz ein, der von dem Zibetduft in ihrem Parfum ausging. Die Prinzessin schlug einen Akkord an. Er sprang von seinem Podest herab.
    Die Prinzessin entschied sich aus Respekt vor der Stadt für den großen Walzer aus Eugen Onegin. Eins, zwei, drei. Mignon tanzte mit dem Tiger. Eins, zwei, drei. Das große Tier, ein wenig steif und großväterlich, beugte sich zärtlich über die Debütantin, auf den Hinterbeinen ganze sechs Fuß hoch und anscheinend ein wenig behindert durch die Lederfutterale, die wie Handschuhe mit Schnur um seine Vorderpranken gebunden waren, damit er nicht in momentaner Erregung seine zurückgezogenen Krallen zeigte - was für Mignons bloße Schultern katastrophale Folgen gehabt hätte, die nur so aussahen, als wären sie aus Marmor.
    Herum und herum tanzten sie, und Mignon summte mit abwesender, verzaubernder Stimme die Melodie, so stolz auf sich selbst und zufrieden mit dem Eindruck, den sie machte, wie jedes Mädchen auf seinem ersten Ball. Doch die Braut des Tigers war traurig, daß man ihr den Partner weggeholt hatte, und vielleicht sogar eifersüchtig, ihn an ein hübsches Mädchen verloren zu haben. Sie legte die Ohren an und stimmte einen drohend-knurrenden Kontrapunkt an.
    Eine Hand in der Tatze des Tigers, winkte Mignon grüßend der Menge, wie die Prinzessin es ihr gezeigt hatte, dann machte sie ihren Knicks vor dem Tiger, dann vor den anderen Tänzern; sie strahlte mit dem ihr eigenen Mangel an Unterscheidung, denn für sie war alles eins, die Toten nachzuahmen oder mit den furchtbaren Lebenden zu tanzen.
    Lauterer Beifall, viel lauter als zuvor, da alle Gelehrten Affen sich auf die oberen Bankreihen geschlichen haben. Wenige der menschlichen Besucher des Kaiserlichen Zirkus hätten sich mit größerem Anstand betragen können als sie, wie sie nun ihrer einstigen Wärterin in ihrer neuen Inkarnation applaudierten. Eine davon, mit einem grünen Haarband, blinzelte ihm zu, als Walsers Blick sie streifte. Den Affen-Mann hatte wohl wie üblich der Alkohol an irgendeine Kneipentheke genagelt.
    Diesmal konnte Sybil ihrem Enthusiasmus kaum Genüge tun, und die Zweifel des Colonels verschwanden. Er war über den Verlust der Charivaris ganz hinweggetröstet.
    »Wenn das nicht alles in den Schatten stellt, was, Sybil? Die hat Nerven! Einsame Klasse! Was für ’ne Nummer! Na, und das braune Mädel, total erstaunlich! Will dir was sagen«, murmelte er zu Sybil, »wie wär’s, wenn wir das Lied rauslassen. Einfach raus damit. Vergessen wir’s. Raus mit dem Lied und gleich den Tanz.«
    Mignon führte ihren Partner zu seinem Podium zurück und hauchte einen Kuß auf den Plüschpelz seiner Stirne, ehe sie ihm höflich beim Hinaufsteigen half. Doch aus dem Auge der Tigerin fiel eine große bernsteinfarbene Träne, und noch eine. Die Prinzessin klickte nachdenklich ihren Fingernagel gegen die Zähne und winkte dann ungeduldig zu den Zuschauern hinüber. Walser spürte, wie etwas seinen verletzten Arm anstieß und merkte beim Hinabschauen, daß Sybil ihn mit ihrem Rüssel stupste.
    »Sehen Sie denn nicht, was los ist, Junge«, übersetzte der Colonel mit julepdurchwehtem Flüstern, »die Prinzessin braucht einen Freiwilligen. Sybil weiß Bescheid. Sybil merkt’s. Auf geht’s, junger Mann, tun Sie Ihre Pflicht! Tun Sie Ihre Pflicht dem Großen Spiel gegenüber und für Colonel Kearneys Zirkus!«
    »He, einen Moment, Mister Colonel«, sagte Fevvers, »ist das nicht bißchen viel verlangt?«
    Wieder winkte die Prinzessin; wieder stieß Sybil, diesmal wild.
    »Sind Sie denn kein Amerikaner ?« sagte der Colonel beschwörend. »Wo bleibt Ihr Einsatz?«
    »Aber das ist die Tigerin, die mich fressen wollte!« rief Walser in entsetztem Staunen.
    »Seid einander also schon vorgestellt worden, was? Um so besser!«
    »Aber mein Arm -«
    »Der arme Kerl ist schließlich verwundet -«
    Walser sah nach links und rechts, einen Fluchtweg suchend, sah jedoch statt dessen, daß der Starke Mann erschienen war, um Mignon anzugaffen. Wie eine

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