Nächte in Babylon
wusste doch, dass ich mich in Ihnen nicht getäuscht habe.«
Sie nahm seine leblose Hand und ließ sie lange, lange nicht mehr los. Tränen strömten ihr übers Gesicht. Als sie aus dem Zimmer kam, warf sie sich in Spandaus Arme.
»Und wie geht es jetzt weiter?«, fragte sie.
Sie saßen im Wohnzimmer der Villa.
»Wir fliegen nach Hause«, antwortete Spandau. »Ich erledige meinen nächsten Auftrag, und du spielst endlich wieder den Liebling der Medien.«
Er hatte recht. Seit dem Überfall war ihr Name in aller Munde, ihr Foto ging um die Welt. Das Telefon klingelte ununterbrochen. Auch der arme Special stand plötzlich im Rampenlicht. Die Polizei hatte im Krankenhaus Posten aufgestellt, um ihn vor den Paparazzi zu beschützen, die seinen Todeskampf fotografieren wollten. Dass er für den Ruhm einen sehr hohen Preis bezahlt hatte, interessierte niemanden mehr. Hauptsache: berühmt.
»Ich meine doch, wie es mit uns weitergeht«, sagte sie.
Für Anna waren die Filmfestspiele vorbei. Die Organisatoren hatten sie rücksichtsvollerweise von ihren Jurypflichten entbunden. Andrei hatte ein Dutzend Mal angerufen. Sie hatte nicht zurückgerufen.
»Das weiß ich auch nicht«, antwortete Spandau.
»Du treibst es ein bisschen zu weit mit deiner Gary-Cooper-Nummer. Jetzt heißt es hü oder hott, Herzchen. Du kannst dich nicht mehr länger unter der Bettdecke verkriechen. Komm raus und entscheide dich. Ich war hinter dir her wie Wilma Feuerstein mit der Keule, aber damit ist jetzt Schluss. Du weißt genauso gut wie ich, dass wir einander guttun, und das will bei zwei so verkorksten Gestalten wie uns schon was heißen. Der Film ist zu Ende, Cowboy, und es liegt allein bei dir, ob du lieber mich küssen willst oder deinen Gaul.«
»Du hast meinen Gaul noch nicht gesehen.«
»Wie viele Leute kennst du eigentlich, mit denen du so gut rumalbern kannst wie mit mir?«
»Und aufs Rumalbern kommt es an«, antwortete er.
»Eben.«
»Wir sind wie Nick und Nora Charles«, sagte er. »Wie Tom und Jerry, wie Sacco und Vanzetti, wie …«
»Ach, halt endlich den Rand.« Sie setzte sich auf seinen Schoß.
»Ich wollte noch sagen, wie Tom Mix und sein Wunderpferd Tony.«
»Und mit diesem epochalen Satz reiten wir jetzt in den Sonnenuntergang, Viehtreiber.«
Vignon mühte sich auf Krücken die Treppe hinauf. Er klopfte an die Tür und wartete. Womöglich war Amalie gar nicht da. Als er ihr seinen Besuch telefonisch angekündigt hatte, war sie recht distanziert gewesen.
Im Haus sah es anders aus. Auf jeden Fall sauberer, aber auch heller, als ob sich die Sonne erst seit Debords Ableben wieder hereintraute.
»Kann ich Ihnen eine Tasse Tee anbieten?«
»Nein, danke. Ich muss gleich wieder weiter. Ich wollte Ihnen nur etwas geben.«
Er holte das Samurai-Stirnband heraus, das sie für Perec gebastelt hatte.
»Das hatte er in der Tasche.«
»Er hätte sie nicht umgebracht, bestimmt nicht.«
»Anna glaubt es auch nicht. Aber man weiß nie, wozu jemand fähig ist.«
»Sie denken nicht, dass sich ein Mensch ändern kann?«
»Nein. Das denke ich nicht.«
»Dann tun Sie mir leid. Sie werden nie etwas verstehen, solange Sie nicht verstehen, dass sich alles verändert. Die Veränderung ist das Einzige, was uns bleibt.«
»Ich glaube, er war geisteskrank. Vielleicht war er in gewisser Weise ein armer Hund, aber es ist trotzdem besser, dass er nicht mehr unter uns ist.«
»Meinen Sie, das wusste er nicht?«
Eine Sekunde Schweigen.
»Vielleicht trinke ich doch eine Tasse Tee mit Ihnen.«
»Ich freue mich. Ich habe mir etwas ganz Besonderes für Sie ausgedacht.«
Er folgte ihr in den kleinen, von Mauern umgebenen Garten. Die Teeutensilien standen auf einem Tischchen bereit – eine wunderschöne Schale aus Krakeleekeramik, ein langstieliger Bambuslöffel, ein zierlicher Teebesen. Auf einem Kohlebecken siedete ein eiserner japanischer Wasserkessel. Vignon plumpste schwerfällig auf ein Kissen. Amalie ließ sich leicht wie ein Vögelchen auf dem zweiten nieder.
»Wissen Sie etwas über die japanische Teezeremonie?«, fragte sie.
»Nein«, antwortete er. »Nicht viel.«
»Es heißt, wenn man alles richtig macht, ist es wie ein kleines Stück Erleuchtung.«
»Na dann«, sagte Vignon. »Ich kann jede Hilfe brauchen.«
Amalie lächelte, verneigte sich tief und goss das siedende Wasser auf den pulverisierten Grüntee.
Es war Nacht. Special lag reglos im Krankenhausbett, angeschlossen an Schläuche, umgeben von piepsenden, blinkenden
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