Naechte mit Bosch - 18 unwahrscheinlich wahre Geschichten
Abwasser nicht wie bei den Stadtmenschen in ein kleines Rohr und dann in ein großes Rohr und in einen Bach und in einen Fluss und dann in das große Meer läuft, sondern vom kleinen Rohr in eine Versitzgrube, von wo es bis zum Mittelpunkt der Erde versickert – was dort geschieht, weiß ich nicht. Jedenfalls lief in der Küche das Wasser nicht mehr ab. Wenn man den Hahn aufdrehte, kamen kleine Rülpserund so ein dumpfes Gluckern aus dem Abfluss, und der Wasserspiegel im Becken stieg immer höher. Ließ man die Geschirrspülmaschine laufen, sammelte sich im selben Becken eine trübfette, von Essensresten durchsetzte Brühe. Nach ein paar Stunden war sie weg, aber wenn man den Hahn nur ein bisschen aufdrehte, schnulpte und gulpte es wieder aus dem Abfluss, und das Becken war voll und stank vor sich hin.
Montags riefen wir den Klempner an. Seine Frau war am Apparat. Wir wussten noch nicht, dass Klempner nie zu Hause sind und dass man am Telefon stets nur ihre Frauen erreicht, die immer dasselbe sagen: Ihr Mann sei auf einer Baustelle, und sie wisse nicht, wann er wiederkomme. Man könnte einen Klempner nachts um zwei anrufen – mit demselben Ergebnis; sie leben, von ihren Frauen getrennt, auf Baustellen. Ich habe ungefähr fünfzig Leute befragt: Noch nie hat jemand mit einem Klempner selbst telefoniert. Einer sagte sogar, da er weder je mit einem Klempner gesprochen noch einmal einen gesehen habe, glaube er, dass es Klempner überhaupt nicht gebe, sondern dass ein Bielefelder Telefonbuchverleger die Existenz dieses Berufs erfunden habe, weil zwischen »Kleintransporte« und »Klimaanlagen« noch eine leere Seite zu füllen gewesen sei. Ein anderer erzählte, er habe in seiner Dusche mal einen patschnassen Klempner getroffen, der fortwährend in den Brausekopf gebrüllt habe: »Drehen Sie den Haupthahn zu. Ich bin gerade auf einer Baustelle und komme dann zu Ihnen.« Seitdem glaube er,dass die meisten Klempner wahnsinnige Angst vor Telefonen hätten, weil sie fürchteten, aus dem Hörer könne kochend heißes Wasser spritzen.
Am Mittwoch lief das Wasser gar nicht mehr ab. Wir hatten keine sauberen Gläser mehr und nur noch ein unbenutztes Messer, mit dem wir uns im Notfall die Pulsadern öffnen wollten. Wir tranken aus der Flasche und aßen Brot im Wohnzimmer, weil wir den Gestank in der Küche nicht mehr aushielten. Wir dachten über den Sinn der Zivilisation nach und darüber, ob es wirklich gut sei, dass das Lebensglück des Menschen an einem in der Wand verborgenen Rohr hänge. Wir verfluchten das Leben in einem Bauernhaus und dachten, wie schön es sein müsste, wieder in der Stadt zu leben. Wohnen nicht in München an jeder Ecke Handwerker, die auf Anruf herbeieilen, um devot unsere Befehle auszuführen?
Am Donnerstag handelten wir. Unser Nachbar, ein entschlossener Mann, fuhr zu einem Klempner, traf dort dessen Sohn und entlieh von jenem eine Maschine, mit der wir Wasser mit hohem Druck in das Abflussrohr pumpen sollten, um alles Hemmende wegzuspülen. Wir ließen also den Gartenschlauch durchs Fenster hinein, schlossen ihn an das Gerät an, führten einen dünnen roten Schlauch ins Abflussrohr und ließen brummend den Kompressor laufen. Oh, Kompressorchen, riefen wir, du machst alles wieder gut! Wir fassten uns an den Händen und tanzten um das Gerät.
Nach zwei Minuten schoss aus dem Abflussrohr eine graue, mit weißen Fettpartikeln sowie Kaffeesatz durchsetzte Flut und überschwemmte die Küche. All unsere Hoffnung war dahin. Wir suchten alte Lumpen, nahmen das Wasser auf, und wenn der Gestank nicht mehr auszuhalten war, gingen wir hinaus und erbrachen uns laut. Unser Nachbar fuhr weg und kam mit einem alten Mann zurück, der sich als der Vater des Klempners herausstellte. Er sagte, wir hätten das Wasser mit zu geringem Druck ins Rohr gepresst. Wir schalteten den Kompressor von neuem an. Diesmal dauerte es drei Minuten: Ein armdicker Wasserstrahl spritzte aus dem Rohr – und wenig später regnete entsetzliche Jauche aus dem Dunstabzug über dem Herd.
Wir standen starr, während die Fettaugen auf dem Abwasser neugierig unsere Knöchel umspielten. Leise regnete Gülle aus einer Dunstabzugshaube der Firma Siemens auf eine Herdplatte der Firma Bosch!!! Was war in jener Wand geschehen? Hatten sich alle Rohre aufgelöst, zerfressen vom Absud unserer Existenz? Hatten sich die Wände seit Wochen vollgesaugt, nun zum Platzen prall gefüllt mit grauem, fettigem Wasser? Waren wir umgeben von Flüssigkeit, die
Weitere Kostenlose Bücher