Naechte mit Bosch - 18 unwahrscheinlich wahre Geschichten
Karte bereits besitzt, ein Stück Plastik auf den Tisch und häufte daneben anderes Plastik auf: Eurocard, Visa-Karte, Lufthansa Freqent Traveller Card, Avis-Card, Hertz-Karte. Das alles, sagte er, werde durch eine einzige Karte mit einer einzigen Nummer ersetzt werden
»Eine einzige Nummer?«, sagte ich und fügte hinzu, wie beruhigend ich es bisher immer gefunden hätte, dass ich wenigstens noch aus vielen verschiedenen Nummern bestand.
»Es wird Krieg geben«, sagte ich.
»Wieso?«, fragte Vau.
»Weil alle Menschen telefonieren wollen, aber niemand angerufen werden will«, sagte ich. So sei es doch mit dem Auto auch: Alle wollten fahren, keiner wolle, dass die anderen fahren, denn die verursachen Staus. Alle wollten jederzeit und überall mit jedem sprechen können, aber niemand wolle jederzeit und überall gesprochen werden. Schon jetzt gebe es jede Menge Leute, die neben ihrem eingeschalteten Anrufbeantworter sitzen und mithören, wer sie da anruft. Dann schalteten sie sich entweder ein oder ließen das Gerät weiterlaufen. Immer ausgefeilter würden, sagte ich und spielte mein beim Telefonkongress erworbenes Wissen voll aus, beim modernen Telefon die Abwehrmechanismen: Bei einer Telefongesellschaft an der Westküste der USA könne man für bestimmte Anrufer den Apparat sperren lassen, und in Los Angeles stünden 59 Prozent der Telefonbesitzer nicht mehr im Telefonbuch. Don’t call me, I call you! Und überhaupt: Ob er, Vau, mir denn garantieren könne, dass die Leute, wenn sie so viel telefonierten, wenigstens weniger Auto führen?
Vau sagte mir, dass ich das alles falsch sähe. »Du musst dir doch nur mal die Typen morgens in den Flughafenlounges ansehen, die mit ihren tragbaren Telefonen da jetzt schon sitzen. Erreichbarkeit ist deren Statussymbol, die sind absolut geil auf ihre Erreichbarkeit, das symbolisiert nämlich ihre Unersetzlichkeit. Sie wollen das so.« Kurzfristig werde das Telefon natürlich keine Dienstreise ersetzen, weildie Leute nämlich die Dienstreisen auch noch als Statussymbol benötigen. Aber langfristig könne sich keine Firma der Welt erlauben, dass ihre teuren Mitarbeiter dauernd auf Flughäfen herumsitzen. Dann schlage die Stunde des Bildtelefons. Man müsse sich nämlich den Büroarbeitsplatz der Zukunft etwa so vorstellen, sagte er: rechts einen Bildschirm, auf dem der jeweilige Gesprächspartner zu sehen sei, darin integriert eine zweizigarettenschachtelgroße Kamera, durch welche man selbst gefilmt werde – genau in Augenhöhe, denn durch umfangreiche Untersuchungen hat man festgestellt, dass eine Kamera von oben den Telefonierenden abgelenkt und uninteressiert erscheinen lasse, von unten hingegen arrogant und überheblich. Links befindet sich dann eine zweite Kamera an einem Galgen, wie eine dieser beweglichen Schreibtischlampen – damit kann man seinen Gesprächspartner jederzeit jedes Dokument lesen lassen. Dazu: Personal Computer, intelligentes Telefon, Bildschirm. Doktor Vau schob sich eine Telephone Card von AT & T quer in den Mund und entmaterialisierte sich.
Schade, dachte ich. Ich hatte doch gerade angefangen, es schön zu finden, dass man seinen Gesprächspartner am Telefon
nicht
sieht. Das war einmal, und es war eine liebenswerte Unvollkommenheit. Das Telefon, sprach ich leise vor mich hin, wird die Alles-Maschine sein. Kann schreiben, lesen, computern. Kann einkaufen. Kann seine eigene Bedienungsanleitung sprechen. Kann an Termine erinnern. Kann kopieren.Macht Faxen. Macht keine Faxen. Erledigt Weiterbildung, Rendezvous, Behördengang, Telespiel und Kinderbewachung. Seelsorge, Anonymsex. Pizzabestellen. Kann Leben retten.
Auf dem Weg in die Telefoniergesellschaft noch ein letzter klarer Gedanke, bitte, bitte!
Wie heißt unsere Droge?
Communication!
Was ist Ruhe? Entzug!
Das hält keiner lange aus. Muss auch keiner. Denn Telefon ist immer da. Wo du auch gehst und stehst: Telefon! Wenn du es nicht mehr aushältst: Ruf irgendwo an! Ein Telefonat ist wie eine Spritze. Schnatter dich frei! Rede! Worüber? Egal, rede! Falsch verbunden? Hauptsache verbunden. Häng dich an die große Zentralmaschine! Niemanden mehr treffen, riechen, anfassen. Nur noch quatschen! Sofort, immer alles sofort machen. Telefon macht ungeduldig, unduldsam. Telefon macht Leben schnell und presst es zusammen. Nur mit Geschäftsbriefen liefe die Wirtschaft nicht. Ohne Telefon gäbe es keine Hochhäuser, denn wo sollten die Fahrstühle für die Büroboten mit all der Korrespondenz hin? Jemand
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