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Naechte mit Bosch - 18 unwahrscheinlich wahre Geschichten

Naechte mit Bosch - 18 unwahrscheinlich wahre Geschichten

Titel: Naechte mit Bosch - 18 unwahrscheinlich wahre Geschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Axel Hacke
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Langsamkeit: Sie waren nicht nur selbst langsam, sie verlangsamten auch durch ihr Sabotagewerk den Aufbau des Gartens, machten mir neue Arbeit und verhinderten, dass ich mich auf dem Sofa wälzte.
    Im Kampf mit ihnen stumpfte ich ab. Es machte mir nichts aus, sie mit kochendem Wasser zu übergießen. Ich konnte sie – nur letzte Spuren von Ekel verspürend – mit einer Schere mittendurch schneiden und zusehen, wie zäher, manchmal beigefarbener, manchmal grünlicher Schleim aus ihrem Inneren quoll. Ich hatte das Gefühl, etwas zu tun, das ich nicht tun dürfte. Aber ich wusste mir nicht anders zuhelfen, und wenn ich meinen Garten betrat, dann nie in der Vorfreude dessen, der Ernte halten will, sondern weil die Opfer unter den Pflanzen gezählt und fürchterlich gerächt werden wollten. Dieser Garten hatte, wenn überhaupt, nur noch einen Sinn: Man konnte Schnecken darin töten.
    »O Herr!«, rief ich. »Hast Du auch diese schleimigen Monster geschaffen? Willst Du, dass sie Deinen Garten vernichten? Oder willst Du mich prüfen wie Hiob?« Ich blieb verzweifelt im Eingang stehen, so lange, dass sich ein Knöterichzweig um meine Hand ringeln konnte. Wie der Händedruck eines Komplizen war das, meines einzigen Freundes, des großartigen Vertreters der Schnelligkeit und des Tempos in einer Welt vernichtender Geduld.
    Ich war nicht mehr fähig spazierenzugehen, ohne jedes Schnecklein, das meinen Weg kreuzte, zu zertreten – ob es Wegschnecken waren, die geräuschlos unter meinen Stiefeln starben, oder Weinbergschnecken, deren Häuser knackend zerbrachen, bevor auch ihre Körper auf dem Straßenasphalt zu Brei wurden. Ich achtete nicht mehr auf die Landschaft, sondern blickte nur noch starr nach unten und suchte Opfer. Wenn ich einmal eine Schnecke nicht zertrat, weil sie nicht unmittelbar auf dem Weg lag und ich für eine Sekunde zu bequem war für den Ausfallschritt nach links oder rechts, dann beschäftigte mich eine halbe Stunde lang nur der Gedanke, ob dieses Tier nicht hundert und aberhundert neue zeugen würde, die wiederum meinen Garten überfielen.
    Irritiert verfolgte ich, dass die Schnecken nicht etwa weniger wurden, sondern an Zahl trotz meiner Feldzüge noch zuzunehmen schienen, ja, dass neben den früher dominierenden braunen Wegschnecken neue Arten auftauchten, Laubschnecken, Ackerschnecken, Schlüsselschnecken, die ich alle anhand von Nachschlagewerken zu unterscheiden lernte. Ich las fast nur noch über Schnecken, zitierte mitten in Gesprächen mit fremden Leuten plötzlich den Mephisto, der auf dem Blocksberg sagte:
    Siehst du die Schnecke da? Sie kommt herangekrochen;
    Mit ihrem tastenden Gesicht
    Hat sie mir schon was abgerochen:
    Wenn ich auch will, verleugn ich mich hier nicht.
    Ich versuchte mein Letztes, huschte nachts im Garten umher, Zaubersprüche murmelnd, zwischen zerfressenen Kohlstrünken und leise an den Endivien raspelnden Schnecken:
    Schnägg, Schnägg!
    Streck dyni alli vieri Hörnli uus!
    Oder i töt di, oder i mörd di, oder i …
    Das Ende kam samstagabends, als ich wieder einmal voller Melancholie in den Garten ging, in der Hand eine Bibel, lesend aus dem Buche Joel über eine Heuschreckenplage alsStrafgericht Gottes: »Wachet auf, ihr Trunkenen, und weinet; wehklagt, ihr Weinzecher alle um den Wein! Denn er ist euch vom Munde hinweggenommen. Denn ein Volk ist wider mein Land herangezogen, stark und ohne Zahl; es hat Zähne wie ein Löwin. Meinen Weinstock hat es verwüstet und meinen Feigenbaum zerknickt; es hat ihn abgeschält um und um und niedergeworfen, weiß sind geworden seine Schosse. Wehklage wie eine Jungfrau im Trauergewande um den Bräutigam ihrer Jugend.«
    So ging ich dahin, achtete nicht auf den Weg und rutschte mitten im Garten auf einer träge dahingleitenden Ackerschnecke aus, stürzte rückwärts auf den Weg und zerkratzte mir die rechte Hand, mit der ich Halt suchte, an einem noch jungen Stachelbeerstrauch. Benommen blieb ich liegen. Ich war barfuß und trug eine kurze Hose. Als ich den Kopf hob, sah ich, wie eine schmutziggraugrüne, vielleicht zehn Zentimeter lange Spanische Wegschnecke auf meinen linken Fuß glitt, ja: floss, und spürte, wie sie in einer Reihenfolge wellenförmiger Hebungen und Senkungen über mein Bein kroch. Ich wollte sie mit der rechten Hand abstreifen und bemerkte, dass auf dieser Hand drei kleine, cremefarbene, grob gerunzelte Ackerschnecken saßen, »Genetzte Ackerschnecken«, wie mir, der ich das Bestimmungsbuch fast auswendig kannte,

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