Naechtliches Schweigen
verwunderlicher war, wenn man die Umstände ihrer ersten drei Lebensjahre berücksichtigte. Unschuld und Demut, dachte Bev. Sie wusste, wenn sie in genau diesem Moment ins Zimmer gehen und Emma anbrüllen oder schlagen würde, das Kind würde die Misshandlungen schweigend hinnehmen. Und darin lag eine noch größere Tragik als in der jämmerlichen Armut, aus der sie befreit worden war.
Brians Kind. Instinktiv legte Bev eine Hand über das wachsende Leben. Sie hatte sich so verzweifelt gewünscht, Brian sein erstes Kind schenken zu dürfen. Das war nun nicht mehr möglich. Trotzdem - jedes Mal, wenn der Groll in ihr aufstieg, brauchte sie Emma nur anzusehen, und er ließ nach. Wie konnte sie jemandem grollen, der so furchtbar verletzlich war? Und doch konnte sie Emma nicht eine so selbstverständliche Liebe entgegenbringen, wie Brian das tat.
Sie wollte es auch gar nicht, gab Bev zu. Dies war das Kind einer anderen Frau, ein Bindeglied, das sie auf ewig an Brians Verhältnis mit einer anderen erinnern würde. Es spielte keine Rolle, dass all das schon fünf oder zehn Jahre zurücklag. Solange es Emma gab, würde Jane ein Teil ihres Lebens sein.
Für Emma begann ihre erste Beziehung zu einer anderen Frau, die nicht auf Furcht und Einschüchterung gegründet war. Sie und Bev kauften bei Harrods ein, bummelten durch den Green Park und aßen anschließend im Savoy. Bev nahm die Fotografen, die ihnen folgten und ständig Schnappschüsse machten, einfach nicht zur Kenntnis. Als sie Emmas Vorliebe für schöne Stoffe und leuchtende Farben entdeckte, stürzte sie sich in einen regelrechten Kaufrausch. Innerhalb von zwei Wochen quoll der Schrank des kleinen Mädchens, das mit nichts als einem Hemd am Leib zu ihr gekommen war, vor Kleidern über.
Aber nachts, wenn sie beide in ihrem Bett lagen und sich nach demselben Mann sehnten, nachts kam die Einsamkeit zurück.
Emmas Bedürfnisse waren schlicht. Sie wollte, dass Brian wiederkam, weil sie sich in seiner Gegenwart wohl fühlte. Sie hatte noch nicht gelernt, Liebe klar zu definieren oder darunter zu leiden.
Bev jedoch litt. Sie quälte sich mit der Vorstellung, Brian hätte genug von ihr, würde jemanden kennenlernen, der besser in seine Welt passte. Sie vermisste den puren, befriedigenden Sex mit ihm. Es war so leicht zu glauben, dass er sie immer lieben, immer bei ihr bleiben würde, wenn man, von der Liebe erschöpft, schon fast im Einschlafen begriffen war. Aber nun, allein in dem breiten Messingbett, zermarterte sie sich ihr Hirn mit dem bösen kleinen Gedanken, Brian würde seine Einsamkeit mit anderen Frauen statt nur mit Musik vertreiben.
Als das Telefon klingelte, begann es bereits zu dämmern. Nach dem dritten Läuten griff Bev zum Hörer und räusperte sich. »Ja, hallo?«
»Bev?« Brians Stimme klang drängend.
Sofort hellwach, richtete sie sich im Bett auf. »Bri, was ist los? Ist etwas passiert?«
»Nichts. Alles. Bev, wir haben einen Bombenerfolg.« Sein Lachen klang benommen und aufgekratzt zugleich. »Jede Nacht kommen mehr Menschen. Wir mussten schon die Wachmannschaften verdoppeln, damit die Mädels nicht die Bühne stürmen. Es ist eine wilde Sache, Bev. Total verrückt. Heute nacht hat so eine Irre Stevies Ärmel erwischt, als wir gerade zum Auto wollten. Hat ihm glatt den Mantel runtergerissen. In der Zeitung nennen sie uns die Vorreiter einer zweiten britischen Invasion. Stell dir das vor!«
Bev sank in die Kissen zurück und bemühte sich um etwas mehr Begeisterung. »Das ist ja großartig, Brian. Hier im Fernsehen haben sie nur ein paar Ausschnitte gezeigt, nichts weiter.«
»Man kommt sich vor wie ein Gladiator, wenn man da auf der Bühne steht und den Jubel hört.« Es war ihm unmöglich, die Erregung und gleichzeitige Panik zu beschreiben, die er empfunden hatte. »Sogar Pete war beeindruckt.«
Bev dachte an den pragmatischen, nur ans Geschäft denkenden Manager und lächelte. »Dann müsst ihr wirklich eingeschlagen haben.«
»Und ob.« Er zog an dem Joint, der sein Glücksgefühl noch verstärken sollte. »Ich wünschte, du wärst hier.«
Im Hintergrund hörte sie Geräusche; laute Musik, untermalt von dem Gelächter von Männern und Frauen. »Das wünschte ich auch.«
»Dann komm her.« Er schob eine halbnackte, bedröhnte Blondine beiseite, die auf seinen Schoß klettern wollte. »Pack ein paar Sachen und buch einen Flug.«
»Wie bitte?«
»Das ist mein Ernst. Ohne dich macht alles nur halb soviel Spaß.« Auf der anderen Seite
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