Naechtliches Schweigen
seinen Hals und küsste ihn. Michael warf seine halb abgenagte Hähnchenkeule achtlos hinter sich. Lachend rollten sie zusammen über das Bett.
»Bleib heute nacht hier.«
Die Sonne ging schon unter, als Emma sich anzog. »Nicht heute nacht. Ich muss nachdenken.«
»Das habe ich befürchtet.« Er griff nach ihr und zog sie an sich. »Ich liebe dich, Emma. Warum denkst du nicht darüber mal nach?«
Zur Antwort schloss sie nur die Augen.
»Bitte glaub mir doch.«
»Ich möchte dir ja glauben«, entgegnete sie. »Aber im Moment traue ich meiner Urteilskraft nicht so recht. Es ist noch gar nicht so lange her, da dachte ich, Drew liebt mich und ich ihn. Beides war falsch.«
»Verdammt noch mal, Emma!« Michael biß sich auf die Lippen und ging zum Fenster, um die Vorhänge zu öffnen. Dämmerlicht fiel in das Zimmer.
»Ich stelle keine Vergleiche an.«
»Ach nein.«
»Nein.« Er kann die Tragweite meiner Gefühle nicht verstehen, dachte sie. »Weißt du, meine Probleme haben nicht erst mit Drew begonnen, was schon schlimm genug gewesen wäre. Ich muss mir erst darüber klarwerden, was ich wirklich will, ehe ich mich entscheide.«
»Ich hatte nicht vor, ein Datum festzusetzen.«
Seufzend küsste sie ihn auf die Schulter. »Papa und Bev kehren bald nach England zurück.«
Er fuhr herum, und sogar in dem dämmrigen Licht konnte sie die Wut in seinen Augen sehen. »Wenn du daran denkst mitzugehen, dann überleg es dir noch mal.«
»Du kannst mich nicht einschüchtern, Michael. Die Zeiten sind vorbei.« Erst als sie die Worte laut ausgesprochen hatte, erkannte sie, dass sie der Wahrheit entsprachen. »Ich denke daran, in dem Strandhaus zu bleiben. Papa und Bev müssen ihr Leben leben, und ich muss entscheiden, was ich mit meinem anfange.«
»Willst du, dass ich dich in Ruhe lasse?«
»Nicht zu sehr.« Wieder schlang sie die Arme um seinen Hals. »Ich möchte dich nicht verlieren, da bin ich mir ganz sicher. Ich weiß nur noch nicht, wie es weitergehen soll. Können wir nicht einfach eine Zeitlang so weitermachen?«
»Na gut. Aber eins möchte ich klarstellen, Emma. Ich werde nicht ewig warten.«
»Ich auch nicht.«
35
Michael fasste sich in Geduld. Die Füße auf den Schreibtisch gelegt, studierte er angelegentlich die Decke. Aus dem Hörer drang eine schrille, aufgeregt plappernde Stimme, die ihm in den Ohren weh tat. Früher oder später würde man die kleine Ratte schon noch drankriegen, schätzteer. Hoffentlich früher.
»Hör zu, Kumpel«, unterbrach er das Geschnatter. »Ich komme immer mehr zu der Überzeugung, dass Springer dein Freund war. Ja, ja, Worte kosten nichts. Er mag zwar nur ein kleiner Halunke sein, aber du weißt ja, wenn die Bullen erst mal eine Witterung aufgenommen haben, dann...« Wieder lauschte er dem unzusammenhängenden Gerede. Es gab doch wirklich nichts Unzuverlässigeres als einen Zeugen, dem die Angst im Nacken saß.
»Schön, schön. Du willst nicht hierherkommen, also werden wir dich finden.« Michael blickte hoch, als der Sergeant ihm einen Stapel Akten und Briefe auf den Tisch knallte. »Versuch du dein Glück nur auf der Straße. Im Leichenschauhaus sind noch Plätze frei.« Während er die Akten durchblätterte, hörte er mit einem Ohr zu. »Eine weise Entscheidung. Frag nach Detective Kesselring.«
Michael hängte ein und schnitt dem Papierberg eine Grimasse. Eigentlich hatte er ja fünf Minuten erübrigen wollen, um Emma anzurufen, aber das konnte er jetzt wohl vergessen. Resigniert wandte er sich der Post zu.
»Hey, Kesselring, wo bleiben deine zehn Piepen Beitrag zur Weihnachtsfeier?«
Wenn er noch einmal das Wort >Weihnachten< hörte, dann würde er einen Mord begehen, entschied Michael. Vorzugsweise an Santa Claus persönlich. »McCarthy schuldet mir zwanzig. Haltet euch an ihn.«
»Hey.« McCarthy, der seinen Namen gehört hatte, kam zu ihm herüber. »Wo bleibt deine Weihnachtsstimmung?«
»In deinem Portemonnaie.«
»Immer noch sauer, weil dein Herzblatt Weihnachten in London verbringt? Laß sie sausen, Kesselring. Die Welt wimmelt von Blondinen.«
»Verpiß dich.«
McCarthy drückte dramatisch eine Hand auf die Herzgegend. »Muss Liebe schön sein!«
Ohne ihn weiter zu beachten, musterte Michael den Umschlag. Seltsam, genau dann, wenn er schwarze Gedanken hinsichtlich dieser Stadt hegte, traf ein Brief aus London ein. Als Absender war eine Anwaltspraxis angegeben. Was konnte eine Londoner Anwaltspraxis von ihm wollen? Als er den Umschlag
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