Naechtliches Schweigen
vorgetäuscht.
Sie waren im Haus gewesen, hatten es durch die Eingangstür betreten. Auch davon war Lou überzeugt. Doch hieß das nicht unbedingt, dass sich ihre Namen auf der Liste befanden, die Pete Page zusammengestellt hatte. Halb Kalifornien hätte in jener Nacht ins Haus kommen können - und wäre mit einem Drink, einem Joint oder sonst etwas bewirtet worden.
Im Zimmer des Jungen waren außer denen der McAvoys und ihres Kindermädchens keine Fingerabdrücke gefunden worden, noch nicht einmal auf der Injektionsspritze. Beverly McAvoy war offenbar eine gute Hausfrau. Im Erdgeschoß herrschte zwar das nach einer Party übliche Durcheinander, doch das erste Stockwerk, der Wohnbereich der Familie, war tadellos sauber. Das hätte Marge gefallen, dachte Lou. Keine Fingerabdrücke, kein Staub, keine Anzeichen eines Kampfes.
Aber es hatte ein Kampf stattgefunden, ein Kampf auf Leben und Tod. Und während dieses Kampfes war Darren McAvoy, vielleicht unbeabsichtigt, erstickt worden.
All das musste zwischen dem Moment, in dem Emma ihren Bruder weinen hörte - wenn dies den Tatsachen entsprach - und dem Augenblick, in dem Beverly McAvoy nach ihrem Sohn sah, geschehen sein.
Wie lange hatte es gedauert? Fünf Minuten, oder zehn? Bestimmt nicht länger. Nach Meinung des Pathologen war Darren McAvoy zwischen zwei und halb drei nachts gestorben. Der Anruf beim Notarzt war um zwei Uhr siebzehn eingegangen.
Aber das half nichts, grübelte Lou. Es brachte nichts, die Zeiten zu vergleichen, Berge von Notizen zusammenzustellen, sorgfältig beschriftete Aktenordner anzulegen. Er musste eine Unregelmäßigkeit, einen Namen, der nicht ins Gesamtbild paßte, eine Lüge finden.
Er musste Darren McAvoys Mörder fassen, sonst würde ihn das Gesicht des Jungen ewig verfolgen. Wieder hörte er die tränenerstickte Frage seiner kleinen Schwester.
War es meine Schuld?
Brian konnte es kaum mehr ertragen. Tag für Tag strich er ruhelose durch das große Haus, Nacht für Nacht lag er neben einer Frau, die schon bei der leisesten Berührung vor Widerwillen erschauerte.
Er würde nie wieder der alte werden, dachte Brian. Nichts würde je wieder so sein wie früher. Auch der Alkohol vermochte seinen Schmerz nicht zu lindern, er betäubte ihn nur.
Noch nicht einmal Bev konnte er trösten, obwohl er sich verzweifelt bemühte. Er wollte ihr beistehen und zugleich von ihr getröstet werden, doch die eigentliche Bev hatte sich so tief in die blasse, stille Frau, die an seiner Seite gestanden hatte, als ihr Sohn der Erde übergeben wurde, zurückgezogen, dass er nicht an sie herankam.
Verdammt, dabei brauchte er sie jetzt. Er brauchte jemanden, mit dem er reden konnte, der ihm bestätigte, dass es immer eine Hoffnung gab, selbst in den dunkelsten Tagen seines Lebens.
Er würde Darren nie wiedersehen, ihn nie mehr halten, ihn nicht mehr aufwachsen sehen. Brian wünschte, er könnte Wut empfinden, aber war viel zu ausgelaugt. Nun, wenn es keinen Trost gab, dann würde er eben lernen, mit der Trauer zu leben.
Nahezu jeden Tag hing er am Telefon, immer in der Hoffnung, Kesselring hätte neue Erkenntnisse. Er benötigte einen Namen, ein Gesicht, irgend etwas, worauf er seinen hilflosen Zorn richten konnte.
Doch alles, was er hatte, waren ein leeres Kinderzimmer und eine Frau, die nur noch ein Schatten der Frau war, die er einst geliebt hatte.
Und Emma. Dem Himmel sei Dank für Emma.
Mit den Händen fest das Gesicht massierend, erhob er sich von dem Tisch, an dem er versucht hatte zu komponieren. Ohne Emma hätte er die vergangenen Wochen nicht überstanden. Ohne sie wäre er durchgedreht.
Auch Emma trauerte; still, unglücklich. Oft saß Brian noch über die Schlafenszeit hinaus bei ihr, erzählte ihr Geschichten, sang oder hörte ihr einfach zu. Sie vermochten sich gegenseitig zum Lächeln zu bringen, und wenn es geschah, ließ der Schmerz nach.
Immer, wenn Emma außer Haus war, wurde Brian von Angst gemartert. Noch nicht einmal die Leibwächter, die er angeheuert hatte, um Emma zur Schule und zurück zu begleiten, konnten die lähmende Furcht vertreiben, die sich einstellte, sobald das Kind zur Tür hinaus war.
Und wie würde ihm erst zumute sein, wenn er sich selbst aus dem Haus begeben musste? Egal wie sehr er auch seinen Sohn vermissen mochte, der Tag würde kommen, an dem er auf die Bühne, ins Studio, zur Musik zurückkehren musste. Er konnte wohl kaum ein sechsjähriges Mädchen ständig mit sich herumschleppen.
Sie bei Bev zu
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