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Naerrisches Prag

Naerrisches Prag

Titel: Naerrisches Prag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lenka Reinerová
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vielversprechend, die Frau machte einen soliden, verläßlichen Eindruck. Ich brauchte dringend Hilfe und die bot sie mir an. Nicht überschwenglich, eher nüchtern und sachlich.
    »Wir suchen doch keine Freundin«, beruhigte mich mein Mann, als ich etwas mehr Entgegenkommen vermißte, »die Frau verspricht nur, was sie halten kann.«
    Boženka zog bei uns ein, kochte gut, ging mit dem Kind spazieren, kam mit ihm pünktlich zur vereinbarten Stunde nach Hause, und die Kleine gewöhnte sich bald an sie. Nur an eine Gepflogenheit unserer neuen Hausgenossin konnte sie sich nicht gewöhnen. Wenn Boženka Kopfschmerzen hatte, und die plagten sie offenbar ziemlich oft, schnitt sie von einer Gurke eine kräftige Scheibe ab und klebte sie sich an die Stirn, was angeblich verläßlichhalf. Das gefiel unserem Töchterchen nicht, es graulte sich ein bißchen vor der Frau mit dem komischen Gurkenkopf. Es entging mir auch nicht, daß unsere Kleine jedesmal vor dem Aufbruch zum Spaziergang ihre Begleiterin aufmerksam betrachtete. Sie wird doch nicht am Ende mit der Gurke ...
    Nein, vor jedem Ausgang wurde nur das Zöpfchen festgezogen und jedes Stäubchen vom Mantel entfernt. Boženka redete nicht viel, ging, wie sie angekündigt hatte, jeden Sonntag in die Kirche, und als sie uns eines Tages unvermittelt eröffnete, sie habe beschlossen, ihr Leben zu ändern, wolle nicht weiter Hausgehilfin sein und habe über Vermittlung einer Kirchenbekannten eine Arbeit in der Industrie angenommen, tat es uns leid, aber, ehrlich gesagt, nicht allzu sehr. Wir wünschten ihr viel Glück und hatten selbst Glück, denn bald trat ein junges Mädchen in unseren Haushalt ein, und das Zusammenleben mit ihm stellte sich als viel fröhlicher heraus. Liduška litt auch nicht an Kopfschmerzen und benützte Gurken nur zum Anrichten von Salaten, was unsere Kleine offensichtlich erleichterte.
    Jahre vergingen. Für uns recht turbulente Jahre, in die mein absurder Gefängnisaufenthalt im Rahmen der »politischen Säuberungen 1952–1953 « fiel, unsere darauffolgende Abschiebung in eine Provinzstadt, die Rückkehr in ein für uns zeitweise obdachloses Prag und schließlich die Zuteilung einer Wohnung im Stadtteil Košíře, wo wir, zwar ungefragt, aber dennoch endlich wieder festen Fuß fassen konnten.
    In jener Zeit war das wahrlich kein überaus verlockendes Stadtviertel. Geräuschvoll, beträchtlich verwahrlost, belastet mit einer wichtigen Ausfallstraße nach dem Westen.Und mit zahlreichen, noch verwahrlosteren Nebenstraßen, in denen es von Kindern und arbeitslosen Jugendlichen geradezu wimmelte. Das waren die sogenannten Zigeunerstraßen.
    Vor dem Jahr 1945 waren in Prag nur wenige Roma-Familien angesiedelt, der große Zustrom auf der Flucht vor der heranrückenden Ostfront erreichte die Stadt erst am Kriegsende. Diese Menschen, bekanntlich ein fahrendes Volk, konnten sich in den Steinbauten und beengenden Gassen nur mühsam eingewöhnen. Sie vermißten ihre natürliche Gemeinschaft, das wechselnde Lagerleben unter freiem Himmel. Sowie der Frühling und Sommer in Prag einzogen, saßen in unserem Stadtviertel in den Abendstunden Frauen und Kinder am Rande des Gehsteigs, ließen die Füße in die Fahrbahn baumeln – der Verkehr war in jenen Jahren noch nicht so monströs –, schwatzten, rauchten, führten mitunter heftigen Meinungsaustausch, genossen den blassen Ersatz ihres einstigen Lagerlebens.
    Die jungen, in grelle Farben gekleideten Mädchen unter ihnen waren oft beunruhigend schön. Ihr Lachen, manchmal auch ein vielstimmig geträllertes Liedchen in unverständlicher Sprache wirbelten die eintönige Straße richtig durcheinander. Unter den alten Frauen gab es einige Hexengestalten mit einer Zigarre im Mundwinkel, die mitunter laut zeterten und vorübergehende Menschen belästigten.
    »Ich kann aus deiner Hand dein Schicksal lesen«, bot mir eines Tages eine solche furchterregende Person mit einem gräßlich geschwollenen Bein an.
    »Nein, danke. Ich will es gar nicht wissen.«
    Es folgte ein Schwall böser Flüche.
    »Laß das«, eine der jungen Schönen erwischte die Alte an ihrem Schultertuch. »Laß diese Frau in Ruhe. Siehst du denn nicht ...« Und sie ließ den Satz unbeendet, schenkte mir ein warmes Lächeln und kehrte tänzelnd zu ihren Freundinnen zurück.
    Ich setzte meinen Weg nachdenklich fort. Was hat die Hexe an mir erkennen und mich deshalb verschonen sollen? Daß ich auch zu einer oft getretenen Menschengemeinschaft gehöre? Oder

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