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Naerrisches Prag

Naerrisches Prag

Titel: Naerrisches Prag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lenka Reinerová
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die so lange entbehrte eigene Wohnung in Prag war unser körperlicher, materieller und insbesondere seelischer Zustand nach den Strapazen der vorangegangenen Jahre nicht gerade der beste. Und es war für uns auch wieder einmal ein neuer Anfang, dem wir uns stellen mußten.
    Boženka hatte sich ihrerseits an die Großstadt, in der sie nun schon seit sehr langer Zeit lebte, recht gut gewöhnt und schloß mit ihr auf eigene, ihrem beträchtlichenAlter angemessene Weise nähere Bekanntschaft. An manchen Tagen setzte sie sich in eine Straßenbahn und fuhr von einer Endstation zur anderen, um zu sehen, »wie unser Prag wächst«. Gefiel ihr etwas nicht, weil es ihrer Meinung nach »für die Menschen nicht gut ist«, teilte sie das in der Hl. Wenzelskirche dem Herrn Pfarrer mit, zu dem sie volles Vertrauen hatte, denn der konnte ja ihre Beschwerde an die Hl. Jungfrau weitergeben, und die half bekanntlich immer. Wie sie das in den neuen Prager Siedlungen bewerkstelligen konnte, blieb für mich ein Rätsel.
    Als unsere Tochter im Jahr 1968 bei einem Ferienaufenthalt nach der Besetzung der Tschechoslowakei durch ihre damaligen »Bruderarmeen« in England verblieb, meinte Boženka, sie tue dies »wie jetzt die meisten anständigen jungen Menschen« und es sei wohl für sie so auch am besten. Zugleich eröffnete sie mir, von nun an werde sie noch mehr für meinen Mann und mich sorgen, denn »sonst tut es ja niemand«.
    Als mein Mann Theodor Balk im Jahr 1974 schwer krank im Spital lag, besuchte ihn unsere gute Frau Boženka, nahm seine Hand und sagte: »Haben Sie keine Angst, Herr Doktor. Wenn Sie nach Hause kommen, koche ich Ihnen wieder Ihr Lieblingsgericht, und noch heute empfehle ich Sie der Obhut der Jungfrau Maria. Die steht uns allen bei.« Mein Mann starb in der folgenden Nacht, und mir blieb nur die Hoffnung, daß dieser fromme Zuspruch erhört wurde.
    Am Begräbnistag Balks erschien Boženka vom Kopftuch bis zu den Strümpfen in Schwarz gekleidet, stellte sich im Krematorium schützend neben mich und meine Tochter und nahm am Schluß der Zeremonie mit schlichterSelbstverständlichkeit mit uns die Beileidskundgebungen der Trauergäste entgegen.
    Allmählich wurde sie neunzig und mehr Jahre alt. Die Straßenbahnausflüge waren für sie schon allzu beschwerlich, mich besuchte sie jedoch regelmäßig und brachte mir stets, gekocht oder gebraten, etwas Gutes mit. Blieb sie länger fort, begab ich mich in das Frauenheim. Dort war sie nicht nur in ihrem Stockwerk gut bekannt, denn wer immer Hilfe brauchte – Frau Boženka, die vielleicht älteste Insassin, bot sie jedem an. Sie wurde von Tag zu Tag kleiner und dünner, empfing mich aber stets tadellos gekämmt und mit einer frisch gebügelten Schürze um die schmalen Hüften. Das Haarknötchen auf dem Kopf war fest geflochten.
    Wir haben ihr einmal zu Weihnachten ein Fernsehgerät geschenkt, das jetzt, zumeist mit einem gestickten Tuch bedeckt, stumm in einer Ecke stand. Denn Boženkas Gehör verschlechterte sich, und als sie den Apparat noch angestellt hatte, klopften ihre Zimmernachbarinnen ärgerlich an die Wand, beschwerten sich über die übermäßige Lautstärke.
    »Dabei haben die Herren Redakteure die Nachrichten ganz leise vorgetragen«, seufzte Boženka und strich traurig über die schwerhörigen, zudem noch mit einem Wolltuch bedeckten Ohren. »Ich mußte den Knopf ordentlich aufdrehen.«
    Mit Hilfe der »Katholischen Zeitung« verfolgte sie interessiert, oft beunruhigt und mißbilligend, das Weltgeschehen. Als dann eines Tages Karol Wojtyła zum Papst gewählt wurde, fragte ich sie, weil ich ja wußte, wie gläubig sie war: »Na, Boženka, was sagen Sie dazu: Ein Pole wurde diesmal Papst.«
    Sie seufzte. »Das ist sehr gut«, meinte sie dann. »Bei uns hier hätten sie es ihm nicht erlaubt.«
    »Wir haben alle irgendwo eine flackernde Kerze«, pflegte sie oft zu sagen, »erst wenn die verlöscht, kommt das Ende.« Sie wurde fast 97 Jahre alt, dann entschwand das Flämmchen ihrer Kerze. Zu dem Begräbnis fuhr ich in ihr Heimatdorf.
    Frau Boženka war im offenen Sarg in der Kirche aufgebahrt. Ich hielt mich zurück, wollte sie tot nicht sehen. Auf der Straße vor dem Gotteshaus stand eine Dorfkapelle mit blank geputzten, in der Sonne blitzenden Instrumenten. »Alles findet nach Wunsch unserer Tante statt«, flüsterte mir einer ihrer beiden Neffen zu. »Und wir müssen gar nichts bezahlen. Sie hat ihre Ersparnisse für ein volles Begräbnis bestimmt. Auch für eine

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