Naerrisches Prag
einzuwerfen.
»Jeder vernünftige Mensch erkennt, was es hier zu kaufen gibt«, zischte die Frau erbost und verschwand hinter einem Vorhang.
In diesem Augenblick zeigte sie sich mir, die Gestalt, die gleichzeitig an drei Tischen zu sitzen versteht. Diesmal hier, zwischen den Falten des dicken grauen Vorhangs, hinter den die Frau geflüchtet war. Die Erscheinung blieb stumm, schien aber ein ganz klein wenig zu lächeln, als ob sie mir etwas zu verstehen geben wollte. Vielleicht: Soetwas kann man in Prag erleben, hier gibt es das eben. Und das wissen wir doch, wir beiden.
Inzwischen ist die Tafel mit dem Pflaumenknödelversprechen endgültig weg, auch den grauen Vorhang könnte man nicht mehr finden; der Haupteingang in das Haus ist vernagelt. Über zwei Stufen gelangt man jetzt in einen ganz lustigen Laden nebenan, der »Blue« heißt und allerhand Souvenirs, mit »Prag« bedruckte T-Shirts und anderen Unsinn anbietet. Nichts zum Essen, jedoch auch Glas, modern und eher dekorativ. Kein Porzellan. Der in das Steinportal eingeritzte Kaffeehausname mit E. E. Kisch ist weiterhin da, unverrückbar, wird hier wohl auch in Zukunft seinen Platz behaupten.
Ich fragte die beiden jungen Leute, die im »Blue« verkaufen, ob sie wissen, wer dieser Kisch war, dessen Name über dem Eingang in ihr »blaues« Geschäft zu lesen ist. Der Mann sagte:
»Ja, so jemand wie Kafka.«
»Und Kafka?«
»Der hat Bücher geschrieben, ist doch berühmt.«
Das hübsche Mädchen an der Kasse lächelte und meinte:
»Eigentlich eine Schande, man sollte mehr wissen, wenn man den ganzen Tag hier herumsteht. Man hätte uns etwas über diese Stelle sagen sollen, ehe man uns hierher schickte.«
Ich sah mich um, war mit den beiden allein da. Niemand sonst bewegte sich zwischen den bunten Gläsern und dem touristischen Kleinkram in dem lustigen Blueblauen Laden.
Als ich mich von den jungen Verkäufern verabschiedete, nachdem ich einen überaus langen Bleistift erstandenhatte, an dessen einem Ende ein winziges farbenfrohes Häuschen mit der Aufschrift »Praha« angebracht war, blickte ich mich auf jeden Fall vorsichtig nach meinem geheimnisvollen Begleiter um. Er zeigte sich nicht, saß wohl an seinen drei Tischen, hatte mir ja bereits eine Art Lektion erteilt: Das Leben läuft weiter, was gestern war, ist schon bald vorgestern. Hätte der Rabbi Löw, hätte der Schriftsteller Gustav Meyrink je ahnen können, daß ihr Golem in winzigem und auch sehr großem Format, in Holz, Ton, Glas und Porzellan (!) eines Tages in Schaufenstern ausgestellt und ein beliebtes Mitbringsel sein wird? Ich bin gewiß nicht die einzige, die sich den verschiedenartigen Stimmungen, dem so oft heraufbeschworenen und niemals enträtselten Zauber meiner Heimatstadt nicht entziehen kann. Zweifellos geht es Bürgern in anderen Städten ähnlich. Allein – man gestatte mir diese Einschränkung – wahrscheinlich nicht ganz genauso. Denn Prag, das muß man wissen, ist neben seinem würdevollen Alter und seinen historischen Werten auch ein sonderbar närrischer Ort. Was übrigens in bestimmtem Maße gleichfalls für die Menschen gilt, die hier zu Hause sind. Bin ich doch selbst einer von ihnen.
Wann immer ich in der Nähe meines jetzigen, nunmehr schon langjährigen Wohnviertels am linken Ufer der Moldau an der Hl. Wenzelskirche vorbeigehe oder mit der Straßenbahn vorbeifahre, muß ich an einen guten Menschen denken, an unsere alte Boženka, die in diesem Gotteshaus geradezu zu Hause war. Mit all ihren Sorgen und Schmerzen fand sie hier beim Altar der Jungfrau Maria Maggiore stets verläßlich Zuflucht, Verständnis und Beistand.
Auf welchem Wege gerade diese Frau in mein Leben eingetreten ist, weiß ich nicht mehr, weiß nur wann: Das geschah gegen Ende des Jahres 1948, kurz nach meiner ersten Krebsoperation. Die hat mich natürlich angestrengt, ich war erschöpft, hatte ein zweijähriges Kind und brauchte Hilfe. Weil wir nach Krieg und Holocaust keine Verwandten mehr besaßen, mußte ich eine bezahlte Haushaltshilfe suchen. Damals zog Boženka zum erstenmal bei uns ein.
Sie war nicht mehr ganz jung, hatte ein kleines, eher verschlossenes Gesicht mit klaren, hellen Augen. Ihren Kopf bedeckte streng gescheiteltes, mit einem festen Zöpfchen zu einem kleinen Knoten zusammengewundenes aschblondes Haar.
»Ich werde kochen, auf das Kind aufpassen, die Wohnung sauber halten und an Sonntagen zur Messe gehen«, erklärte sie bei unserem ersten Gespräch. Das klang ganz
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