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Naerrisches Prag

Naerrisches Prag

Titel: Naerrisches Prag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lenka Reinerová
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sind doch Marionetten für Puppenspiele.
    Jetzt dürfen mir keine Tränen kommen.
    »Das sind Rabbiner?« wiederholte ich leise.
    »Klar.« Der unrasierte junge Mann mit dem etwas fremdartigen Akzent maß mich von seinem Tisch und Stuhl aus mit einem verächtlichen Blick. Was für eine einfältige Kundin war da zu ihm hereingeschneit! »Rabbiner, das erkennt doch jeder«, belehrte er mich.
    »Aha.« Ich nahm mich zusammen. »Und sie kosten?«
    »Die kleineren neunhundert, die größeren elfhundert tschechische Kronen. Wir nehmen auch Euro und andere Devisen.«
    Der Mann machte keine Anstalten, sich von seinem Stuhl zu erheben, ließ mich aber nicht aus den Augen. Seine Ware hing und stand ja überall ringsum. Ich machte kehrt.
    Zurück auf der Straße, holte ich erst einmal tief Atem und blieb nochmals vor den »Rabbinern« stehen. Mancher hatte ein dümmliches Gesicht, andere kennzeichnete ein unverkennbar hämisches Lächeln unter der recht großen Nase.
    Wo steckt mein stummer Begleiter, der gleichzeitig an drei Tischen zu sitzen versteht? Hier sollte er auftauchen, mich sogar an der Hand nehmen und hinausführen aus diesem unerträglichen Gemisch von einst und jetzt, in dem ichmich nicht zurechtfinden kann, das mich empört, vor allem aber schmerzlich berührt. Warum läßt er sich weder sehen noch hören? Gerade da könnte er doch eine Ausnahme machen.
    Plötzlich war ich recht müde und beschloß, meinen Rundgang langsam zu beenden. Als ich die schmale Gasse überquerte, um auf ihrer anderen Seite den Rückweg anzutreten, stellte ich, nun nicht mehr überrascht, fest, daß sich auch da ein Souvenirladen an den anderen reiht. Zuerst versuchte ich wegzuschauen, blickte dann aber doch wieder in die dicht besetzten kleinen Schaufenster, die keine Fenster sind, sondern nur Nischen und Regale mit einem unbeschreiblichen Vorrat an kunterbunten Waren. Und siehe: Juden sind anscheinend wirklich ein überaus gefragter Modeartikel geworden.
    Auf einmal, auf den unergründlichen Umwegen der Erinnerung, mußte ich daran denken, wie rings um das Schloß Schönbrunn in Wien in kleinen und auch größeren Läden in Gips und Porzellan, vergoldet oder bemalt, in geradezu winzigem, aber auch recht großem Format Kaiserliche Hoheiten verkauft werden: die schöne und so jung ermordete Sissy und ihr weißbärtiger Gemahl Kaiser Franz Josef. Dort nahm ich das belustigt zur Kenntnis. Und jetzt konnte ich mich nicht damit abfinden, daß in der ehemaligen Prager Judenstadt ihre gleichfalls schon zum Bestandteil der Geschichte gewordenen einstigen Bewohner kauflustigen ausländischen Besuchern als Souvenir angeboten werden. Allerdings ...
    Das ist es eben: allerdings! Und auch die Art, wie sie dargestellt werden.
    Mit einemmal beschlich mich das Gefühl, daß meinstummer Hilferuf vielleicht nicht ganz vergeblich war. Denn auf dieser Seite der Straße begegnete ich Holzfigürchen unverkennbar jüdischer Musiker, gleichfalls in dunklem Anzug und mit dem steifen Hut auf dem Kopf. Diese geschnitzten Männlein sind unbeweglich, aber wenn man richtig hinzuhören versteht, lassen sie ihre winzigen Baßgeigen erklingen, fingern an ihren für sie fast zu großen Celli oder halten eine Violine unter dem Kinn, geigen und weinen und lachen dabei wie ihr weltberühmter Kollege, der Fiddler on the roof.
    Gleichzeitig weinen und lachen könnte manchmal beinahe auch ich, wenn ich mich auf meinen Streifzügen durch die Stadt bewege. Das rufen zweifellos Begegnungen hervor, das Zusammentreffen von einst und jetzt, Haltepunkte auf der Drehscheibe persönlicher sowie auch mit anderen Menschen geteilter Erlebnisse.
    In der Dlouhá, der Langen Gasse, die in den Altstädter Ring mündet, steht ein kleines Haus mit dem Nummernschild 12. Das kannte ich gut von innen und außen. Ich weiß auch, daß es angeblich schon im 13. Jahrhundert von einem tüchtigen Bierbrauer errichtet worden sein soll. Und weil mir das kleine Haus so vertraut ist, habe ich diese Straße lange bewußt gemieden, wollte das in späteren Jahren verschmutzte, beschmierte, völlig verwahrloste Häuschen bei einem zufälligen Vorbeigehen nicht sehen, wußte aber, daß ich auch nicht wegschauen könnte.
    In diesem Haus Nr. 12 war nämlich längere Zeit die Redaktion der Monatsschrift »Im Herzen Europas« angesiedelt, die ich von ihrer ersten bis zu ihrer beinahe letzten Ausgabe redigiert habe. Am Anfang des Jahres 1970, in dem gewaltsam einsetzenden und absurd als

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