Naerrisches Prag
»Normalisierung«bezeichneten Zeitabschnitt nach der Liquidierung aller Reste des zu Recht als »Prager Frühling« bezeichneten hoffnungsvollen Reformversuches der politischen Ordnung in der Tschechoslowakei, erwischte es mich wieder einmal. Ich wurde als politisch unzuverlässig, wenn nicht gar für das Normalisierungssystem gefährlich, abermals von einer Stunde zur anderen gekündigt. Durfte auch Nr. 12 nicht mehr betreten. Bald danach begann für das alte Haus seine wohl schlimmste Zeit.
Daß es schon im 13. Jahrhundert erbaut wurde, scheinen Gewölbe im Keller und Erdgeschoß zu bestätigen. Auch daß es ein Bierbrauer oder Schankwirt zu seinem trinkfreudigen Dasein erwecken ließ, stimmt wahrscheinlich. Vom altersmüden Niedergang rettete es der Verlag Orbis, der seinerseits kurz nach der Gründung der Tschechoslowakischen Republik im Jahr 1918 ins Leben gerufen wurde und mit seinen Publikationen, vor allem mit der international anerkannten und erstklassigen Tageszeitung »Prager Presse« unter der Leitung von Arne Laurin, das Interesse für den jungen Staat im Ausland wecken sollte. Was in beträchtlichem Maß auch gelungen ist. Es war dieser Verlag, der auch die Zeitschrift »Im Herzen Europas« herausbrachte.
Ich war mit meiner Redaktion Anfang der sechziger Jahre des kürzlich vergangenen Jahrhunderts in die Dlouhá Nr. 12 eingezogen. Ungeachtet meines fristlosen und mit allerhand Verboten bereicherten Normalisierungs-Hinauswurfs betrat ich das kleine Haus noch einmal.
»Es tut mir wirklich leid, glauben Sie es mir bitte«, stammelte der Pförtner, ein stiller älterer Mann, verlegen und ängstlich, als ich eines Tages unter dem breiten Haustorauftauchte, »aber ich darf Sie nicht hereinlassen. Wissen Sie nicht, daß Sie Hausverbot haben?«
»Weiß ich. Ich will auch gar nicht in das Haus.«
»Nein?« Er war sichtlich erleichtert. »Aber ...«
»Bei unserem Einzug habe ich eine junge Pappel in den Hof einpflanzen lassen.«
»Eine Pappel? Sie meinen den kleinen Baum?«
»Ja, ich meine die kleine Pappel und bin heute nachschauen gekommen, ob für sie jetzt ordentlich gesorgt wird.«
»Für die Pappel?«
»Ja, für die Pappel.«
Der Mann blickte sich angstvoll um, stellte beruhigt fest, daß wir allein in dem Hausflur waren.
»Ich weiß nicht«, murmelte er unglücklich, »Sie haben doch Hausverbot ...«
»Habe ich auch Hofverbot?«
Sein Gesicht erhellte sich. »Davon weiß ich nichts«, sagte er mit auf einmal beinahe fester Stimme. »Das hat mir niemand gemeldet. Gehen Sie ruhig Ihre Pappel besuchen, Frau Redakteurin, aber bitte ganz schnell.«
Ach Prag, mein liebes närrisches Prag!
Als in den letzten Novembertagen des Jahres 1989 diese schwarze Periode in unserem Land ein jähes Ende fand, verging noch eine gewisse Zeitspanne, ehe ich meine Schritte, jetzt eher neugierig als bange, doch wieder in die Dlouhá lenkte.
Das Haus Nr. 12 war nun mit einem Gerüst versehen, Bauarbeiter liefen ein und aus. Von da an ging ich ab und zu nachsehen, wie die Rekonstruktion fortschreitet, ohne zu wissen, wer sie in die Wege geleitet hatte. Das spitze historisch belegte Dach wurde abgetragen, der Bau wuchsin die Höhe. Ich fragte einen der Maurer, ob er mir sagen könnte, wer der Besitzer des Hauses ist. Er wußte es nicht, kannte nur die Firma, deren Angestellter er war. Das hätte ich mir denken können.
Dann war die Revitalisierung, wie man jetzt zu sagen pflegt, eines Tages zu Ende. Blitzsauber, erbsengrün angestrichen und mit einer modernen Eingangstür versehen, steht Nr. 12 stolz und selbstbewußt, so scheint es mir, in seiner neuen Aufmachung an der alten Stelle. Aber wie mag es drinnen aussehen? Hat meine Pappel die große Veränderung überlebt? Wie so oft war wieder einmal meine nimmermüde Neugierde geweckt.
Aus den Medien erfuhr ich, wer nun in dem Haus schaltet und waltet. Eine schillernde Persönlichkeit: Fernsehboß, Politiker, Kunstliebhaber, verstrickt in – auf jeden Fall für mich – völlig unbegreifliche Finanzaffären. Unter dem neuen Dach ließ der neue Hausherr auch eine schöne Galerie installieren, die man allerdings nur nach rechtzeitiger Voranmeldung besuchen kann. Nie hätte ich gedacht, daß das kleine Haus, die historische Bierschänke und dann unsere Redaktion, eine so ungewöhnliche und faszinierende Metamorphose durchstehen könnte. Was war bei dieser gründlichen Umkrempelung aus meinem winzigen Arbeitsraum geworden, in dem ich mich so wohl gefühlt habe? Und
Weitere Kostenlose Bücher