Naerrisches Prag
blieben stehen, jemand erhob seine Stimme und erzählte den Umstehenden etwas, dann ging es von neuem um einige Schritte weiter.
Träumte ich wieder einmal mit offenen Augen? Das Gewimmel und Gedränge von einst, die miserablen Behausungen und die unsichere Ghetto-Existenz, all das war, hoffentlich unwiderruflich, längst Geschichte geworden. Zum Glück auch das Unvorstellbare, das die jüdischen Bürger der Stadt im Laufe der jüngsten Geschichte betroffen und vernichtet hat. Was ich rings um mich vernahm, war auch kein Jiddisch oder gar Hebräisch, auch kein tschechisches Wort gelangte zu meinen Ohren. Man murmelte, rief, staunte, lachte, bewunderte und erkundigte sich rings um mich deutsch und italienisch, englisch und spanisch, holländisch und schwedisch. Nicht einheimische Bewohner, ausländische Besucher füllen jetzt täglich die Straßen mit den Gedenkstätten, dem alten Jüdischen Rathaus,der noch älteren Alt-Neu-Schule, deren Anfänge bis zum Jahr 1270 zurückführen, den Synagogen der nachfolgenden Jahrhunderte und dem in der Tat uralten Jüdischen Friedhof.
Wen suchte ich hier? Wem hoffte ich insgeheim zu begegnen? Warum wird es immer so still in mir, wenn ich durch diese Gassen schlendere?
»Scusi!« Einer Gruppe lärmender Bürschchen, alle mit den Narrenkappen auf dem Kopf, die auf dem Altstädter Ring auf Schritt und Tritt feilgeboten werden, stand ich offenbar im Weg. Ich machte ihnen schnell Platz und entwich in das ganz kurze Gäßchen, das zu dem Alten Jüdischen Friedhof führt.
Auch hier war es keineswegs still. An beiden Seiten des Sträßchens reiht sich nun ein Laden mit Souvenirs, auch mit allerhand orientalischen Schals oder mit Holz- und Porzellangeschirr – muß mich Glas und Porzellan überall einholen? – an den anderen. Ich betastete da ein Tuch in den leuchtenden Farben Lateinamerikas, beschnupperte dort ein exotisches Seifenstück, betrachtete die sonderbarerweise zu einem Modeartikel und anscheinend beliebten Mitbringsel gewordenen größeren und kleineren Holzmarionetten, die in Rudeln an Schnüren hängend in beinahe jedem Laden zu haben sind. Figürchen in böhmischer Nationaltracht, weißbärtige Rübezahle, Wassermänner mit langen grünen Haarsträngen. Auf einmal stockte mein Blick, konnte nicht weiter, auch meine Füße waren plötzlich wie festgenagelt, rührten sich nicht von der Stelle.
Vor mir hing in schwarzem Kaftan und mit einem steifen schwarzen Hut auf dem Kopf eine lange Reihe orthodoxer Judenmännchen, mit Vollbart und auffallend großenkrummen Nasen, etliche mit einem scheußlichen, arglistigen Gesichtsausdruck. In nächster Nachbarschaft des Alten Jüdischen Friedhofs und der Pinkas-Synagoge, deren Wände mit den Namen der Tausenden im Holocaust umgebrachten Juden aus unserem Land bedeckt sind.
Kann so etwas überhaupt möglich sein? Wieso kann so etwas in unseren Tagen überhaupt noch möglich sein?
Wie angewurzelt stand ich da. Bei näherer Betrachtung mußte ich mir eingestehen, daß dieses Sortiment augenscheinlich sehr gefragt ist, wenn es in solcher Menge angeboten wird. Unter einer Reihe kleinerer, lose baumelnder, gab es noch eine Reihe größerer, standfesterer Holzjuden. Wahrlich eine reichhaltige Auswahl. Ich sah mich nach dem Eingang in den Laden um. Den kann man nur über einige Stufen erreichen, die offenbar in einen Kellerraum führen. Vorsichtig stieg ich hinab. Unten war es ein wenig düster. Selbst die ringsum ausgestellten Marionetten in bunter Kostümierung mannigfaltigster Art waren nicht imstande, ihre dumpfe Umgebung zu beleben.
In einer Ecke, hinter einem kleinen Schreibtisch, saß ein gelangweilter, schlecht rasierter jüngerer Mann.
»Guten Tag«, sagte ich.
Er nickte nur, erhob sich nicht.
»Mich interessiert, was die Figuren oben auf der Straße, die in den dunklen Anzügen und mit dem Hut auf dem Kopf, kosten.«
»Sie meinen die Rabbiner?« fragte der Mann, weiterhin ohne sich zu erheben.
Ich zuckte zusammen. Zwischen der Alt-Neu-Schule und der Klaus-Synagoge, dem Jüdischen Rathaus und dem alten Friedhof – das kann man hier nicht vergessen, das ist in stummer Würde immer präsent –, in dieser nichtwegzudenkenden Umgebung kann man mit Hand und Fuß an Schnürchen bewegbare Rabbi-Figürchen mit abstoßender Miene für private Puppenspiele oder auch als einzigartigen Zimmerschmuck erstehen. Kann sie nach Belieben aufdringlich gestikulieren, herumspringen, auf dem Boden krabbeln lassen. Und sie müssen das tun,
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