Naerrisches Prag
längere Zeit hinter Schloß und Riegel, verbannte mich aus dem täglichen Leben der Stadt. Danach mußte ich mich, zum Glück wenigstens von neuem vereint mit Mann und Kind, auch noch an einem anderen, mir zugewiesenen Ort ansiedeln. Und wiederum: Auch diesmal bin ich zurückgekommen nach Prag. Weil ich hier zu Hause bin. Das kann niemand ändern.
Wenn ich im Laufe der letzten Jahre von meinen zahlreichen, auf erfreuliche Arbeit ausgerichteten und durchwegs interessanten Fahrten ins Ausland heimkehre, mit einer Fülle verschiedenartigster Erlebnisse und Erfahrungen in Kopf und Herz, und als freier Mensch mit meinem Prag Wiedersehen feiere, bin ich meistens nicht imstande, länger als zwei Tage ruhig zwischen meinen vier Wänden zu sitzen, die inzwischen eingegangene Post durchzusehen, längst überfällige Telefongespräche zu erledigen – kurz, schlecht und recht »Ordnung zu machen«. Unaufhaltsam zieht es mich auf die Straße, ich muß hinaus, muß nachsehen und spüren, ob auch Prag »in Ordnung« ist.
Wenn ich dann in die Stadt fahre – diese Redewendung ist mir aus meinen Kindertagen in Karolinenthal geblieben –, kann ich das Zentrum nur über eine Brücke erreichen. Der Blick auf den Hradschin mit Burg und Veitsdom ist für mich jedesmal eine Freude. Auf der anderen Seite halte ich nach den Schwänen Ausschau, die erst in jüngster Zeit, dafür aber in immer größerer Anzahl, die Moldau besiedeln. Mit ruhevoller Selbstverständlichkeit segeln sie, wie mir scheint sogar fröhlich, durch die trüben Fluten. Auch sie sind hier bereits zu Hause.
Seit kurzem betrachte ich aufmerksam auch den Wasserstand der Moldau, besorgt, ob sie sich mit dem Flußbett zufriedengibt, sittsam dahinfließt und nicht in die Straße eindringt und Stadt und Menschen überschwemmt. Als uns das der Fluß im Jahr 2002 antat, zog ich gleichfalls los, mußte sehen, riechen und spüren, was mit Prag geschieht.
Unvergeßlich bleibt mir aus jener bangen Zeit der Blick von einer der Brücken. Am Ufer unter mir war ein Café etabliert mit Tischen und Stühlen. Bis hart an denFlußrand. Unter normalen Umständen konnte man sich bei den mit Musik vorbeiziehenden Dampfern und den zahlreichen Booten mit fröhlichen Menschen der Illusion eines Klein-Venedig hingeben. Ob die Einrichtung des Cafés rechtzeitig geborgen oder vom wildgewordenen Fluß weggeschwemmt wurde, wußte ich nicht, als ich auf die ruhelosen, mit zischenden Wellen heranstürzenden Fluten hinabsah. Tische und Stühle waren verschwunden. Nur ein Sonnendach war auf der Wasserfläche übriggeblieben mit dem flaschengrün aufgedruckten schwankenden Namen des einst blühenden und nun untergetauchten Lokals: C’est la vie! So ist das Leben!
Die Hochwasserkatastrophe war, so hoffe ich, ein einmaliges Ereignis. Aber nachschauen, ob Prag »in Ordnung« ist, gehe ich weiterhin nach jeder Rückkehr aus fremden Landen.
Ein solcher Streifzug führte mich eines Tages, beinahe ohne mein Zutun, wieder einmal in die Gassen der Altstadt.
Die feine Pariser Straße mit ihren Exklusiv-Geschäften für anspruchsvolle und finanzkräftigste Touristen ließ ich links liegen. Solche gibt es überall, ich begegnete ihnen ja selbst auf den Terazije in Belgrad, obwohl dorthin, wie man mich in dem Prager Reisebüro belehrte, »niemand fährt«. Allein das einzigartige Gewirr von Gäßchen, das Gedränge zu vieler Menschen auf ungenügendem Raum, wie ich es in ursprünglicher Form nur mehr von vergilbten Fotos und auf den Bildern Robert Gutmanns kenne, dieses sagenumwobene Herzstück Prags, übt weiterhin seine Anziehungskraft auf mich aus. Die Leiden und Freuden, die Weisheit und Abgeklärtheit von Jahrhunderten liegenhier irgendwie in der Luft, obwohl natürlich heutzutage alles ganz anders ist.
Ganz anders? Gewiß, die elenden Häuser, in denen die Menschen in zum Glück längst vergangenen Tagen hausen mußten, sind verschwunden. Neben häufigen Verfügungen wechselnder Obrigkeiten besorgte das vornehmlich ein verheerender Feuerbrand im Jahr 1689 , dem die meisten zum großen Teil nur aus Holz errichteten Bauten zum Opfer fielen. Schon längst stehen am Ort des einstigen Ghettos und der späteren Judenstadt Josefov stattliche Bürgerhäuser. Selbstbewußt, stilvoll, auch richtig schön. Aber ...
Aber auf einmal mußte ich stehenbleiben, eingezwängt in ein Menschenknäuel. Durch die Straße, über die Gehsteige und die Fahrbahn, überall schoben sich ältere und jüngere Leute vorwärts,
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