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Naerrisches Prag

Naerrisches Prag

Titel: Naerrisches Prag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lenka Reinerová
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die Pappel im Hof? In mir nagte der dringliche Wunsch, Nr. 12 in seinem neuen Gewand besichtigen zu können.
    Und dann war das eines Tages wirklich möglich.
    Hat das unsichtbare Wesen, das gleichzeitig an drei Tischen sitzen kann, dabei von sich aus und natürlich ohne meine Kenntnis ein wenig mitgeholfen? Wer kann das wissen.Aber wieso war es gerade die liebenswürdige Direktorin des Franz-Kafka-Zentrums, die mir diesen Besuch einrichtete und mich auch persönlich dabei begleitete? Kann in Prag eine solche Verbindung ein Zufall sein?
    Als ich auf meinem Weg zu dem Besuch in der Dlouhá den Altstädter Ring überquerte, erfaßte mich auch diesmal mein spezielles »Prager Gefühl«: Hier bist du zu Hause, hier kennst du dich aus, hier willst du alles wissen und verstehen, und hier kommen ja auch die Erlebnisse quasi von sich aus bereitwillig, zumeist sogar freundschaftlich, auf dich zu. Erwartungsvoll und in guter Stimmung erschien ich pünktlich vor Nr. 12.
    Der Pförtner ist natürlich inzwischen jemand ganz anderer als der ängstliche Alte vor etlichen Jahren. Unser sorgenvoller Türhüter von damals genoß hoffentlich ohne allzu viel Sorgen seinen Ruhestand. Der neue, viel jüngere Mann hat jetzt drei Computer vor der Nase und beobachtet von seinem Platz aus das ganze Haus.
    Die gute alte Holztreppe hat ausgedient. Auf Hochglanz polierte Steinstufen ersetzen sie. Das vor Jahrhunderten errichtete Bierhaus besitzt nun einen gläsernen Aufzug. Zu unseren Zeiten gab es im Erdgeschoß zwei Gewölbe mit ursprünglichen rauhen Steindecken. Die sind noch da, wölben sich jetzt über gediegen eingerichtete Aufenthaltsräumlichkeiten mit einem ebensolchen Barpult.
    »Was möchten Sie zuerst sehen?« wurde ich höflich gefragt.
    »Wenn es geht, mein ehemaliges Arbeitszimmer in der ersten Etage. Es war einfenstrig, mit einem Ausblick auf die Straße.«
    »Das war Ihr Zimmer?« fragte die Dame des Hauses, die uns herumführte, verwundert, als wir dort ankamen. »Ist ja so klein, sieht fast wie eine Nische aus. Was war Ihre Funktion in der Redaktion?«
    »Ich war die Chefredakteurin.«
    »Und da saßen Sie hier?«
    »Ja, und sehr gern.« Ich mußte lachen. »Chefredakteure, so hat mir einmal jemand erzählt, sollten tunlichst ein geräumiges Sekretariat und für sich einen ganz kleinen Raum haben. Beides bekommt angeblich dem guten Verlauf der Arbeit.«
    Nun lachten auch die beiden Frauen, und ich betrat »mein« Zimmer, ging ans Fenster und schaute hinaus. Da geschah etwas Merkwürdiges. Ich sah nicht die geschäftige Straße im urwüchsigsten Zentrum der Stadt. Durch das schmale Fenster blickte ich dank der unerklärbaren Einschaltungen unseres Unterbewußtseins in die tumultösen, aufregenden sechziger Jahre. Von hier aus habe ich im August 1968 den Metallriesen, die Kanone der einmarschierten Roten Armee, beobachtet, die vor unserem kleinen Haus Position bezog. Vielleicht weil sie auf dem Altstädter Ring zwischen den zahllosen Panzern und Transporteuren keinen Platz mehr hatte. Oder vielleicht, weil unsere Redaktion ein »strategisch wichtiger Punkt« war. Wer kann schon nachvollziehen, was in den Köpfen der damaligen Machthaber vor sich ging.
    An dem schicksalhaften Tag der Invasion kam unsere Redaktionssekretärin, wie wir alle, in frühester Morgenstunde atemlos angestürmt. An ihrem Arm hing ein kleiner Korb, aus dem ein stattlicher Blumenkohl hervorlugte, in ihrer freien Hand hielt unsere Pavla einen prächtigen Blumenstrauß.
    »Du wunderst dich?« sagte sie, als sie mein erstauntes Gesicht bemerkte. »Wer weiß, ob uns die Okkupantengauner dort draußen heute überhaupt noch nach Hause gehen lassen. Also habe ich für jeden Fall etwas zum Essen mitgebracht. Und die Blumen stellen wir in einer schönen Vase in der Eingangshalle auf den Tisch, damit sie kapieren, daß hier eine kulturelle Institution ist, falls sie uns auch von innen besetzen wollten.«
    Aus dem Fenster, an dem ich jetzt wieder einmal stand, habe ich oft nach meinem Mann Ausschau gehalten, wenn er mich von der Arbeit abholen kam. Von hier aus habe ich Freunden zugenickt, unseren Lesern, die aus den beiden damals noch getrennten Teilen Deutschlands in die Redaktion unserer Zeitschrift zu Besuch kamen. Als ich dann das kleine Zimmer von einer Stunde auf die andere verlassen mußte, habe ich nur den farbenfrohen Druck eines Bildes von Joan Miró von der Wand geholt und mitgenommen. Es war, wie gesagt, nur ein gerahmter Druck. Jetzt hängen in Nr. 12

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